: Frauen sind nicht nur Opfer
Integration Was brauchen geflüchtete Frauen zum Ankommen? Auf einem Fachtag tauschten sich ExpertInnen über ihre Bedarfe aus. Sie benötigten mehr als Therapie
von Eiken Bruhn
Die Perspektiven geflüchteter Mädchen und Frauen sollen in Bremen stärker in den Fokus rücken. Das sagte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) am Donnerstag auf einem Fachtag zum Thema, an dem 100 Fachfrauen und eine Handvoll -männer teilnahmen. Organisiert hatte diesen die Zentralstelle für die Gleichbereichtigung der Frau (ZGF), die in einem einjährigen Projekt klären will, was Frauen mit Fluchterfahrung brauchen, um sicher ankommen zu können. Zu diesem Zweck will sich die ZGF im nächsten Jahr von einem mit geflüchteten Frauen besetzten Beirat beraten lassen. „Wir wollen verhindern, dass Frauen durchs Raster fallen“, sagte die Leiterin der ZGF, die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe.
Bekannt sei bereits jetzt, dass es zu wenig Möglichkeiten der psychotherapeutischen Versorgung gebe, so Hauffe. Dabei sei Bremen mit dem auf Traumatherapien spezialisierten Behandlungszentrum Refugio gut aufgestellt. Dennoch seien deren Wartelisten immer noch zu lang. Umso wichtiger sei es, dass Krankenversicherungen die Kosten für Psychotherapien bei niedergelassenen TherapeutInnen übernehmen, sagte Sozialsenatorin Stahmann. „Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Bisher übernehmen die Kassen in den ersten 15 Monaten nur die Kosten für akute Erkrankungen. Psychotherapie wird nicht dazugezählt.
Dabei seien nicht alle weiblichen Geflüchteten aufgrund von Gewalterfahrungen vor, während oder nach der Flucht traumatisiert – darauf wies unter anderem Bremens Integrationsbeauftragte Silke Harth hin. „Wir haben Bilder im Kopf: Der bedrohliche junge arabische Mann und die arme Frau, das Opfer.“ Eine solche Haltung gegenüber den zugewanderten Frauen diene nicht deren Emanzipation. Im Gegenteil: „Das wäre eine weitere Form der Fremdbestimmung.“
Deshalb betonte die Landesfrauenbeauftragte Hauffe auch die Notwendigkeit, sich stärker für die Integration von geflüchteten Frauen in den Arbeitsmarkt einzusetzen. „Wir wissen kaum, mit welchen Qualifikationen sie kommen“, sagt Hauffe. Während bei den Männern viel unternommen werde, handwerkliche Erfahrungen für eine Berufsausbildung zu nutzen, gebe es bei den Frauen wenig Ideen. „Es kann auch nicht nur darum gehen, sie in pflegerische Berufe im Niedriglohnsektor zu vermitteln“, sagte die Integrationsbeauftragte Harth.
Das dringlichste Problem der geflüchteten Frauen sei allerdings ihr häufig unsicherer Aufenthaltsstatus, berichtete Behshid Najafi, die selbst vor 30 Jahren aus dem Iran nach Deutschland flüchtete, seit 24 Jahren in Köln in einer Beratungsstelle für geflüchtete Frauen und Mädchen arbeitet und auf dem Fachtag von ihren Erfahrungen berichtete. Wer nicht wisse, ob und wie lange sie in Deutschland bleiben könne, habe selten die Kraft, sich beispielsweise von einem gewalttätigen Partner zu trennen. „Erst die Rechtssicherheit gibt die Stärke für Eigenständigkeit“.
Behshid Najafi, Beraterin
Bremen nahm laut Sozialsenatorin Stahmann in den vergangenen drei Jahren 18.000 Geflüchtete auf, 30 Prozent davon seien Frauen gewesen. Davon wiederum kämen viele mit Kindern. Frauen ohne EhepartnerInnen können in Bremen in einem Übergangswohnheim nur für Frauen und Kinder leben. Zudem soll bald in Walle eine Unterkunft für Frauen mit besonderen therapeutischen Angeboten eröffnet werden. Beide Heime sind keine Einrichtungen wie Frauenhäuser, in denen Frauen vor ihren gewalttätigen Männern besonders geschützt sind – etwa durch die Geheimhaltung der Adresse.
Für alle Notunterkünfte und Wohnheime in Bremen gilt seit Oktober ein Gewaltschutzkonzept, das Vorgaben für die Ausstattung und Fortbildungen zum Thema macht. Diese sind größtenteils sehr vage formuliert und enthalten kein standardisiertes Verfahren, wie die Einhaltung der Vorschriften kontrolliert wird.
Die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe kündigte an, dass ihr Team in diesem Jahr bei Besuchen in den Einrichtungen diese überprüfen werde.
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