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Der Verzicht für die Partei

Wechsel Sigmar Gabriel legt völlig überraschend den Parteivorsitz nieder und tritt nicht als Kanzlerkandidat an. Sein Nachfolger soll Martin Schulz werden. Die SPD-Granden sind von diesem Schritt begeistert

Martin, geh du voran: Sigmar Gabriel weiß um die Grenzen seiner Popularität – und verzichtet deshalb Foto: Fabrizio Bensch/reuters

AUS BERLIN Anna Lehmann

Nach wochenlangen Spekulationen klärt sich die K-Frage in der SPD am Dienstag innerhalb weniger Stunden. Der amtierende Parteivorsitzende Sigmar Gabriel erklärt in der Fraktionssitzung der SPD im Bundestag seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und zugleich seinen Rücktritt vom Parteivorsitz. Als seinen Nachfolger will er am Wochenende in der Sitzung des Parteivorstands Martin Schulz vorschlagen. Gabriel selbst will Frank-Walter Steinmeier als Außenminister ablösen, der wiederum im Februar zum Bundespräsidenten gewählt werden soll.

Mit diesem Vorgehen war Gabriel sich selbst zuvorgekommen. Eigentlich wollte er erst auf einem kurzfristig anberaumten Treffen am Nachmittag zunächst die engste Parteiführung und danach das Präsidium über seine Entscheidung informieren. Doch dann kamen Vorabinformationen aus dem neuesten Stern dazwischen, dem Gabriel seinen Rücktritt schon vor den Genossen erklärt hatte. Der Zeitplan war nicht mehr zu halten.

Gabriels Gespräch im Stern geriet zur Abrechnung mit Angela Merkel. Er macht die Kanzlerin und Wolfgang Schäuble für einen „europäischen Scherbenhaufen“ verantwortlich. Erst hätte diese beim Sparen Franzosen und Italiener „gedemütigt“. „Und dann hat sie dort angeklopft, man möge doch einige Hunderttausend Flüchtlinge aufnehmen.“ Gabriels Schlussfolgerung: „Keinen zu fragen, aber hinterher von allen Solidarität zu verlangen, ist einfach naiv.“ Mit diesem Interview dürfte der Bundestagswahlkampf eröffnet sein – und zwar mit Knalleffekt.

Er wisse seit einigen Tagen von Gabriels Zweifeln, ob er der richtige Kandidat sei, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann nach der Fraktionssitzung. Für seine Entscheidung zolle er Gabriel Respekt. Dieser habe eigene Interessen zurückgestellt im Interesse der Partei. Oppermann dankte Gabriel für sein Verdienst, die Partei zusammengehalten zu haben. „Ich bin jetzt sehr zuversichtlich, dass wir den Wahlkampf erfolgreich bestreiten werden.“

Die Fraktionsmitglieder quittierten Gabriels Ankündigung in der Sitzung mit Standing Ovations: Ausdruck des Respekts, gemischt wohl auch mit Erleichterung. Nicht nur Gabriel war im Zweifel, ob er der richtige Kanzlerkandidat war, auch in der Partei hatte es schon seit Monaten heftige Diskussionen gegeben. Nicht zuletzt sprachen auch Gabriels schlechte Umfragewerte gegen seine Kanzlerkandidatur.

Gabriel ist nach Willy Brandt der am längsten amtierende Nachkriegsparteichef der SPD. Er übernahm den Vorsitz der kriselnden Partei 2009. Während der folgenden Jahre konnten die Sozialdemokraten in Landtagswahlen punkten, schafften aber die bundespolitische Trendwende nicht. Derzeit stagniert die Partei in Umfragen nahe der 20-Prozent-Marke.

Von Martin Schulz erhoffen sich viele Genossen nun den Aufbruch. „Er ist ein großer Sympathieträger an der Basis“, sagte der thüringische Fraktionsvorsitzende Matthias Hey der taz. „Wir hoffen natürlich, dass er nicht nur innerparteilich viele aktivieren wird, an den Wahlkampfständen mitzuwirken, sondern auch nach außen hin wirkt.“

Der linke Flügel der SPD unterstützt die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz. „Jetzt kommt es überhaupt nicht auf rechte, linke Sozialdemokraten an“, sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch. „Wir werden wie eine Eins, egal ob Seeheim oder Parlamentarische Linke, hinter Martin Schulz stehen und mit ihm, denke ich, einen tollen Wahlkampf machen.“

Martin Schulz ist Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises und steht damit eher den Parteirechten nah. Als langjähriger Präsident des Europaparlaments hat sich Schulz aber auch den Ruf eines weltoffenen und zupackenden Liberalen erarbeitet.

Seine Biografie passt hervorragend in die SPD: Als elfter Sohn eines Polizeibeamten in Würselen geboren, machte er Mittlere Reife. Nun hoffen wohl viele Sozialdemokraten, dass Schulz die Partei aus dem Sumpf zieht.

„Wir werden wie eine Eins hinter Martin Schulz stehen“

Matthias Miersch

Schulz war schon seit längerer Zeit als möglicher Kanzlerkandidat im Gespräch, hatte aber stets betont, Gabriel den Zugriff zu lassen. „Derjenige soll antreten, der die besten Chancen hat“, hatte Schulz immer wieder gesagt.

Gabriel und Schulz sind eng befreundet, ohne den Segen und die Rückendeckung Gabriels hätte Schulz die Aufgabe wohl nicht angenommen.

Doch es wird für Schulz schwierig genug, Merkel herauszufordern. Ein großer Erfolg wäre es schon, wenn er die SPD wieder über die 30-Prozent-Hürde hieven könnte.

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