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Neuwahlen sind erst einmal vom Tisch

ÖsterreichSPÖ und ÖVP vereinbaren Koalitionsabkommen. Konservative setzen sich mit ihrem Sicherheitspaket durch

Aus Wien Ralf Leonhard

Die Beilegung der österreichischen Regierungskrise wird mit sicherheitspolizeilichen Auswüchsen bezahlt. Nach mehrtägigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen legten Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ein neues Koalitionsabkommen vor, das bis zu den Wahlen vom Herbst 2018 abgearbeitet werden soll. Das Gespenst vorgezogener Neuwahlen ist damit vorerst gebannt.

Seit Wochen hatten Regierungsvertreter den Eindruck erweckt, dass nichts mehr geht. Die Koalitionspartner hatten einander über die Medien Unfreundlichkeiten ausgerichtet und die Initiativen des jeweils anderen blockiert. Keine guten Voraussetzungen für vorgezogene Wahlen.

So zwang Kanzler Kern den Koalitionspartner an den Verhandlungstisch. Die ÖVP hat bei Neuwahlen noch weniger zu erwarten und musste daher mitspielen. Inhaltlich hat sie sich aber weitgehend durchgesetzt. Vor allem mit dem von Innenminister Wolfgang Sobotka seit Wochen propagierten Sicherheitspaket.

So soll die auf Flughäfen übliche Ausweispflicht auch für die Bahn und selbst für Taxifahrten gelten. „Gefährder“ sollen auch zu Hause überwacht werden. Ob mit elektronischer Fußfessel oder via Handyortung, ist noch nicht klar. Auch ein „Burkaverbot“ in der Justiz und im öffentlichen Raum soll kommen. Videokameras von den öffentlichen Verkehrsmitteln bis zur Autobahn sollen der Polizei zur flächendeckenden Kontrolle dienen. Eine Art Bundestrojaner steht auch auf der Wunschliste.

Peter Pilz, Sicherheitssprecher der Grünen, hat für diese Pläne nur Häme übrig: „Da werden also türkische Taxifahrer österreichischen Passagieren einen Ausweis abverlangen und wenn ihnen der nicht passt, eine Fußfessel anlegen.“ Für ihn bewegt sich die Regierung „gefährlich im Kabarettbereich“.

An den realen Gefährdungen durch von Saudi-Arabien finanzierte Salafisten, einen türkischen Geheimdienst, der Menschen gegeneinander aufhetze, und eine wachsende Neonaziszene gehe dieses Paket vorbei.

Die SPÖ konnte eine „Beschäftigungsaktion“ für ältere Langzeitarbeitslose durchsetzen. Für 20.000 über 50-Jährige sollen in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen Jobs geschaffen werden. Der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer soll im Gegenzug fallen. Unternehmen, die neue Arbeitsplätze schaffen, werden mit einer Senkung der Lohnnebenkosten belohnt. Die bereits beschlossene Teilautonomie für Schulen soll am 1. April in Kraft treten. Die kalte Progression wird ab 2018 zu 80 Prozent automatisch kompensiert.

In der Justiz und im öffentlichen Raum soll ein Burkaverbot kommen

Neben den inhaltlichen Punkten gibt es aber auch Neuerungen für die Zusammenarbeit. So soll das System der „Spiegelminister“, die miteinander verhandeln und sich gegenseitig auf die Finger schauen, abgeschafft werden. Die Kontrolle wird dem Kanzler und Vizekanzler übertragen. Damit schaffen sich diese durch die Hintertür eine Richtlinienkompetenz, die ihnen laut Verfassung nicht zusteht.

Die Parteigremien haben am Montag ihren Segen gegeben. Jetzt muss das Parlament noch zustimmen. Innenminister Sobotka erwartet dort aber den Widerstand der liberaleren SPÖ-Fraktion. Peter Pilz ver­mutet Minenleger aber vor ­allem aufseiten der ÖVP. Da­runter auch den Innenminister, der mit der FPÖ koalieren wolle.

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