Kommentar Reform Unterhaltsvorschuss: Warum erst jetzt?
Die bisherige Regelung zum Unterhaltsvorschuss zeigte vor allem eins: ein staatliches Desinteresse an den Alleinerziehenden.
E s gibt Zahlen, die wollen einfach nicht zusammenpassen. Zum Beispiel 9 Euro Hartz-IV-Regelsatz für ein Kind pro Tag und die Tatsache, dass einmal „Ritter Rost“ im Kino angucken 8,80 Euro kostet. Das Kind kann also entweder essen oder ins Kino gehen. Es sind insbesondere die Alleinerziehenden, die jeden Euro dreimal umdrehen und einen bei der Frage nach dem Kinobesuch nur verzweifelt anlächeln. Die Hälfte aller armen Kinder lebt bei Alleinerziehenden. Aber deren Expartner zahlen oft keinen oder nicht genug Unterhalt für das Kind. Würde der Staat nicht in Vorleistung gehen mit dem Unterhaltsvorschuss, dann bliebe oft nichts als Hartz IV – staatlich verordnete Armut, kein „Ritter Rost“.
Viele Alleinerziehende können sich mit dem staatlichen Unterhaltsvorschuss von durchschnittlich etwa 200 Euro gerade so halten, dass sie nicht im Hartz-IV-Bezug landen. Bisher endete diese Phase abrupt, wenn das Kind 12 Jahre alt war. Plötzlich reicht es dann nicht mehr, plötzlich müssen die berüchtigten 40 Seiten Hartz-IV-Anträge ausgefüllt und der Notgroschen abgeschmolzen werden – und der Kinobesuch ist Geschichte.
Diese Grenze war ebenso wie die Beschränkung der Zahlung auf insgesamt sechs Jahre völlig willkürlich und zeigte vor allem eins: ein staatliches Desinteresse an den Alleinerziehenden, die große Mehrheit von ihnen Frauen. Als hätte sie ein Schicksalsschlag getroffen, der so ungewöhnlich ist, dass sie leider in der Grundsicherung landen.
Zum einen ist eine Trennung kein Schicksalsschlag, sondern Normalität in Deutschland. Zum anderen ist ein nichtzahlender Expartner ebenfalls kein Schicksal, sondern oft das Ergebnis schlichter Rechenkünste ebendieses Expartners. Dass der oder die Alleinerziehende und die Kinder dafür quasi bestraft werden, ist nicht erklärbar. Und so kann man zu dieser Angleichung des Unterhaltsvorschusses eigentlich nur eines sagen: Warum erst jetzt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung