Wabern ohne Gott

PORTRÄT Angefangen hat er in der freien Musik. Nun macht der Cellist Nicholas Bussman auch House und brasilianischen Pop

Ein echter Stratege: Nicholas Bussmann mit Sandkasten im Studio Foto: Nicholas Bussmann

von Andreas Hartmann

Es wabert, es pumpt, es klackert und dann erhebt sich eine Frauenstimme und singt: „You only need to know how it feels to believe“ und immer wieder „I do believe there is no god“. So beginnt das Album „You only need to know how it feels to believe“ von Nicholas Desamory, ein schönes Deephouse-Dokument aus Berlin. Allerdings fällt bereits an den verwendeten Textfragmenten auf, dass hier das Genre Deephouse nicht nur nachgebastelt, sondern auch gegen den Strich gebürstet wurde. Oftmals hat US-Deephouse, wenn er von afroamerikanischen Produzenten gespielt wird, Wurzeln im Soul und im Gospel. Eine Ode an Gott oder wenigstens irgendeine spirituelle Kraft da draußen, würde hingegen beim ausgestellten Atheismus bei Nicholas Desamory geradezu befremdlich wirken.

Irritation und Erbe

Irritationen wie diese passen bestens zu dem Berliner Musiker und Künstler Nicholas Bussmann, der sich für sein Houseprojekt ein Pseudonym zugelegt hat, das auf seine Frau, die Filmemacherin Lucile Desamory verweist, die auf seinen Housetracks singt. Man nehme nur einmal sein anderes Projekt, mit dem er im letzten Jahr ebenfalls eine neues Werk veröffentlicht hat: Telebossa. Das Duo, das er gemeinsam mit dem in Berlin lebenden brasilianischen Komponisten und Sänger Chico Mello betreibt, adaptiert auch ein bestimmtes Genre, um es dann völlig neu zu interpretieren. Wie der Bandname schon andeutet, geht es hier um Bossa Nova, Brasiliens musikalisches Erbe, groß gemacht von Legenden wie João Gilberto. Aber traditionellen Bossa Nova braucht kein Mensch und das war Telebossa auch von Beginn an klar. „Eigentlich bin ich gar kein so großer Bossa-Nova-Fan“, sagt Nicholas Bussmann beim Gespräch im Südblock Kreuzberg, „und ich habe überhaupt wenig Ahnung von brasilianischer Musik. Was mich interessiert, ist, mich an Brasiliens Kulturgeschichte heranzufummeln, auch wenn ich nicht von dort herkomme.“ Und so nimmt das Duo eher Bestandteile des Bossa, dessen Luftigkeit und zarten Schmelz, den sanften Gesang im brasilianischen Portugiesisch, und nähert sich diesem mit den Mitteln von Minimal Music und Elektronik. Damit nicht einmal dieses Prinzip zur Formel gerinnt, werden die musikalischen Mittel für diese Bossa-Dekonstruktionen immer wieder neu justiert. Auf dem Debütalbum des Duos spielte Bussman noch Cello, auf der aktuellen lässt er dieses völlig weg und ersetzt es durch ein Harmonium und ein selbst spielendes Piano. Somit klingt die aktuelle Platte von Telebossa mit dem Titel „Garagen Aurora“ noch einmal völlig anders als deren Debütalbum.

Bussmann ist ein unsteter Geist. Es muss immer wieder in neue Richtungen gehen bei ihm. Eigentlich kommt er aus der Szene der sogenannten Echtzeitmusik in Berlin. Er spielte mit anderen frei improvisierenden Musikern sein frei improvisiertes Cello. „Aber irgendwann hatten in der Szene alle graue Pullover, schabten auf irgendwelchen Instrumenten herum und die Musik war nicht mehr frei, ­sondern hatte eine ganz bestimmte Ästhetik“, sagt Bussmann, natürlich selbst keinen grauen Pullover tragend, sondern ein neongelbes Shirt unter dem Anzugjackett. Bei dem damaligen Improvisationscellisten wurde das Interesse für Clubmusik und überhaupt Pop indes immer größer, und er spielte mit in der kuriosen Shanty-Pop-Band Ich Schwitze Nie mit dem Schauspieler Lars Rudolph als Sänger und mit dem Projekt DJ Attaché & The Beige Oscillator ging es in Richtung schrägen Dancefloor.

Nicholas Bussmann bürstet den Deephouse gegen den Strich

Der Projekteverwirklicher

Heute ist Bussmann Projekteverwirklicher. Er produziert Hörspiele und Filmmusik, spielt immer weniger Cello. „Eine Trennung zwischen Bildender Kunst und Musik“, sagt er, „gibt es dabei nicht mehr.“ Genregrenzen verwischen, Disziplinen vereinen, darum geht es Bussmann. Und darum, in neuen sozialen Zusammenhängen zu arbeiten. Wenn man ihm sagt, dass man bei seinem House vor allem davon überrascht sei, dass er nach Clubsound und eben nicht nach intellektueller Übung eines Avantgardemusikers, sagt er verschmitzt: „Ja, das ist kein Mittelmaß.“ Dank DJ Magda werde er langsam auch im Clubkontext wahrgenommen. Diese habe eine seiner House-Tracks für einen ihrer DJ-Mixe als Intro verwendet.

In Brasilien haben sie inzwischen auch registriert, dass da zwei irre Vögel aus Berlin seltsame Dinge mit ihrem Bossa Nova anstellen. Der transkulturelle Austausch funktioniert bereits, glaubt Bussmann. Der brasilianische Musiker Carlos Carequa sei sehr angetan von Telebossa und ein wenig würden damit die beiden Berliner, so ist Bussmann überzeugt, auch die postmoderne Entwicklung des heutigen Bossa in Brasilien beeinflussen.

Live: Nicholas Bussmann, 14. Januar, DAAD-Gallery, 19 Uhr