: „Sich hinter Merkel versammeln, ist Selbstaufgabe“
LINKE POLITIK Europa-Reformer kämpfen gegen Europa-Zerschlager. Beide Lager haben aber dasselbe Fundament, sagt Thomas Ebermann: Nationalismus. Was Linke in einer solchen Situation bedenken sollten, darüber spricht er am Montag in Hamburg
65, Publizist, Kritiker und Satiriker. 2012 erschien mit „Der Firmenhymnenhandel“ sein erstes Theaterstück.
taz: Herr Ebermann, Ihr Vortrag heißt „Das Illusionäre kämpft gegen das Rechte“: Warum?
Thomas Ebermann: Auf der einen Seite gibt es ein wachsendes Lager, das die Europäische Union im Namen des Völkischen und der nationalen Souveränität zerschlagen möchte. Im deutschen Raum ist es als „Eurexit“-Lager gelabelt. Da machen allerlei reaktionäre Linke mit. Das aufzuschlüsseln ist mir ein Anliegen. Dagegen formiert sich scheinbar das „Democracy in Europe Movement 2025“-Lager, bei dem unter anderem Yanis Varoufakis, Slavoj Žižek und Julian Assange Mitglied sind.
Warum formiert es sich nur scheinbar gegen die Rechten?
Neben dem Illusionären – dass sie in einem Jahr eine europäische verfassungsgebende Versammlung gewählt haben wollen – ist mir wichtig herauszuarbeiten, wie sehr eigentlich auch dieses Lager den stolzen Völkern verbunden ist und also einem Ethnopluralismus das Wort redet, der sich in Katalanen, Basken und Flamen oder Schotten manifestiert – solange die nur in der EU bleiben wollen. Es ist also ein Gegensatz, der trotzdem bei beiden den Nationalismus zum Fundament hat.
Sie kritisieren, dass vor diesem Hintergrund merkwürdige Anpassungsleistungen zu beobachten sind, zum Beispiel bei Slavoj Žižek.
Die Publizistik von Slavoj Žižek hat derzeit zum Ziel, dass die Gefühle der Solidarität und Empathie mit den Flüchtlingen gebrochen werden sollen zugunsten einer befriedeten Welt. Das kann man leicht postulieren, es kann aber auch die Ausrede sein, das Mögliche nicht zu tun.
Viel diskutiert wird derzeit auch Didier Eribons Buch „Rückkehr nach Reims“.
Was Eribon sagt, ist viel klüger und nachdenkenswerter. Ich werde weglassen, was die Schilderung eines homosexuellen Intellektuellen betrifft, der aus dem proletarischen Milieu fliehen musste und gefürchtet hat, dass seine proletarische Herkunft auffliegen könnte. Aber auch sonst sagt er sehr kluge Sachen.
Welche vor allem?
Er schildert erstens Klassenrealität, und zwar ungeschminkt. Die KPF wählenden Eltern waren extreme Rassisten, das lässt er nicht weg. Es sind keine edlen Menschen gewesen. Und er thematisiert in Interviews, dass linke Rhetorik oft kaum unterscheidbar ist von rechter. Das ist bedenkens- und dankenswert.
Sie kritisieren Eribon aber auch.
Eribon hat gleichzeitig das jetzt grassierende Wort von der politischen Notwehr geprägt. Dieses Wort will ich einer Kritik unterziehen. Notwehr bedeutet Unschuld, moralisch, juristisch, in jeder Hinsicht. Ich bin der Meinung, dass man jeden Erwachsenen als mündig behandeln muss. Und es ist eine Vermischung der Tatsache, wenn man rassistische Täter des Alltags – und das sind die Front-National-Wähler – als Notwehrtreibende behandelt. Ich will erforschen, wie diese Metapher von der Notwehr transformiert wird in die Behauptung, die Linken hätten Schuld am Aufstieg der Rechten. Das ist in Christian Barons Buch „Proleten, Pöbel, Parasiten“ in einer Weise ausgeführt, der ich nur mit Kritik begegnen kann.
Und wie steht es um die radikale Linke dabei?
Im letzten Teil des Vortrags will ich dann Tendenzen einer anderen Szene, einer früher einmal radikaleren Szene, in den Konsens der Demokraten im Angesicht der faschistoiden Entwicklungen kritisieren. Es geht also um solche Sehnsüchte, wie sie im Aufruf „Aufstehen gegen den Rassismus“ artikuliert werden: gemeinsam mit Verantwortlichen für die Staatspolitik gegen die AfD zu demonstrieren. Aber das geht alles viel weiter. Ich werde Positionen zitieren, die die Linke aufrufen, sich jetzt hinter Angela Merkel zu versammeln, um Demokratie und Zivilität zu retten. Das ist Selbstaufgabe. Das ist fast schlimmer als Notwehr, weil es mit so einer realistischen Nüchternheit daherkommt. Das Wort Realpolitik siegt ja plötzlich wieder auf ganzer Linie, was ja das Credo der Anpassung schlechthin ist.
INTERVIEW: Robert Matthies
Mo, 16. 1., 20 Uhr, Polittbüro, Hamburg
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