: Glanz und Elend
Tennis Zum Auftakt der Australian Open gewinnt der 19-jährige Alexander Zverev auch einen Kampf gegen sich selbst. Er steht vor dem Durchbruch in die absolute Weltspitze
Aus Melbourne Jörg Allmeroth
Es ist noch nicht lange her, da wurden Teenager in der Weltranglistenspitze noch wie eine aussterbende Spezies bestaunt. Der Trend im Tennis-Wanderzirkus war schließlich gegenläufig, immer mehr betagte Profis hielten sich immer länger auf den vordersten Positionen. Einer ganz besonders lebte sie vor, die wundersame, verwandelte Tennisdemografie: der Schweizer Maestro Roger Federer, mit 17 Grand-Slam-Titeln der erfolgreichste Spieler bei den Majors – und mit 35 Jahren gerade an einem Comeback bastelnd, das ihn bis an die vierzig auf weltweiten Centre Courts führen soll.
Auch in Melbourne sind sehr viele Tennisveteranen dabei: 46 Spieler jenseits der dreißig starteten in das erste Major der Saison, eine neue Rekordmarke. Doch seit ein, zwei Jahren stellt sich der Oldiefraktion auch eine Armada von starken Lehrlingen entgegen. Und nach vielen Jahren der Dürre ist mit Alexander Zverev auch ein Deutscher unter den starken Nachwuchskräften vertreten – mittendrin und ganz vorn dabei.
„Er lebt bereits früh mit höchsten Erwartungen“, sagt Boris Becker über den 19-jährigen Hamburger, der am Dienstag nach einem Drei-Stunden-Krimi mit allen Tiefen und Höhen noch in die zweite Turnierrunde einzog – 6:2, 3:6, 5:7, 6:3 und 6:2 lauteten die nackten Zahlen zur Achterbahnfahrt des jungen Cracks gegen den Niederländer Robin Haase. Zverev lieferte sich und seinen Parteigängern einen zwiespältigen Auftritt mit Glanz und Elend, aber wie er sich aus der Notlage eines 1:2-Satzrückstandes und eines Breaks auch noch im vierten Satz befreite, war großes Tennis. Ein großes Comeback mit großer Entschlossenheit und Durchsetzungskraft. „Ich bin einfach nur glücklich, wie ich das umgebogen habe“, sagte Zverev hinterher. Es passt ein wenig ins Bild, dass Zverev es in Runde zwei des australischen Grand Slams mit dem 18-jährigen Amerikaner Francis Tiafoe (ATP 108) zu tun bekommt. Und bei einem Sieg dann möglicherweise mit dem alten Meister Rafael Nadal, dem spanischen Matador, der gerade an einem seiner vielen Comebacks der letzten, verletzungsgeplagten Jahre bastelt. „Viele fiebern diesem Duell in Melbourne entgegen“, sagt Frankreichs ehemaliger Spitzenspieler Henri Leconte, Down Under als TV-Experte beschäftigt.
Zverev, der in jeder Beziehung herausragende Spieler der jungen Wilden, ein Spieler mit zwei Metern Körpergröße, sieht sich in der angelaufenen Saison einer wieder einmal veränderten Ausgangslage gegenüber. Vor drei, vier Jahren war er noch ein Geheimtipp, der kleinere, möglicherweise vielversprechende Bruder von Mischa Zverev. Über ihn wusste man nicht viel, auch deshalb, weil ihn die Familie eisern abschirmte vor der Öffentlichkeit. Als er seine ersten Gehversuche auf der Tour unternahm, war er so etwas wie ein Phänomen, ein Spieler, bei dem man das große Potenzial spürte. Bei dem aber Psyche und Physis noch nicht passten zu den Träumen früher Erfolge. 2016 machte er erstmals Ernst, das Umfeld wurde professioneller – und er selbst auch. Jähzorn und aufbrausendes Temperament bekam er genauso besser unter Kontrolle wie viele Gegner, jüngere wie ältere. Zverev schlug erste große Namen, er gewann seinen ersten Titel, er wurde unmerklich Teil des Establishments. Als die Saison vorüber war, da war er plötzlich die deutsche Nummer eins. Ein Mann, bereits in der erweiterten Weltspitze, auf Platz 24 der Charts.
Von vielen wird er als kommende Nummer 1 der Welt gehandelt. Zverev lässt sich davon offenbar nicht beeindrucken, er blendet all die rosaroten Prophezeiungen einfach aus, weil er selbst ein großer Realist ist. Er sagt: „Tatsache ist, dass ich einiges, aber noch nicht viel erreicht habe.“ Bevor Zverev seine optimale Physis erreicht hat, wird es immer wieder Rückschläge geben. Auch Kämpfe mit sich selbst, wie in der Erstrundenpartie gegen Haase. Anfang des vierten Satzes, nach einem Doppelfehler, zerhämmerte Zverev in Wut und Rage seinen Schläger – „ganz einfach, weil ich Dampf ablassen musste“. Nach diesem Zornausbruch wurde alles besser, er machte einen 1:3-Rückstand wett, gewann neun Spiele in Serie und dann auch das Match.
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