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TreffpunktAral-Tankstelle

Tiefergelegt Die Hamburger Tuner-Szene schottet sich ab – mit illegalen Autorennen will sie offiziell nichts zu tun haben

Blick in den Motor: Mitglied der Tuning-Szene beim Kontakt mit der Polizei, hier auf der Theodor-Heuss-Straße in Stuttgart Foto: imago

von Kristiana Ludwig

Ihre Felgen sind so violett wie ihr Haar. Die Frau steht neben einem weißen Sportwagen, ihre Absätze sind hoch, die Karosserie dagegen liegt dicht über dem Asphalt. Wasser fließt über die Motorhaube, jemand schießt ein Foto. Ein Facebook-Profilbild. Es ist Sommer im Gewerbegebiet Hamburg-Allermöhe und Schaulaufen vor der Autowaschanlage. An der Aral-Tankstelle, neben der Auffahrt zur A 25, zeigen sich die Hamburger jeden Freitag ihre Autos.

Schon seit Jahren fahren mehrere Hundert Männer und Frauen an den Wochenenden zwischen Frühling und Herbst ihre umgebauten Wagen nach Allermöhe. Sie nennen sich Cruiser, Tuner oder Schrauber – Leute, die ihre Autos tiefer legen oder deren Lack mit Airbrushpistolen verzieren. Die extra­breite Reifen aufziehen und den Motor frisieren. Zwischen den blauen Leuchten der Zapfsäulen und den Luftdruckmessgeräten stellen sie ihre Luxuswagen ab, um Energy-Drinks zu kaufen oder auf dem Bürgersteig über Ersatzteile zu plaudern. Die Polizei sagt: auch, um sich hier zu illegalen Straßenrennen zu verabreden.

Während der Treffen an der Tankstelle machten sich nach und nach Fahrer auf den Weg, „um abgesetzt und unbeobachtet illegale Autorennen durchführen zu können“, heißt es in einer Einschätzung des Hamburger Senats. Oft nutzten sie die leeren Straßen im Gewerbegebiet, die Autobahnen oder das Hamburger Umland. Außerdem steuerten sie ihre Autos in die Innenstadt: An den Wochenenden beobachte die Polizei aufgemotzte Wagen, „die mehrfach rund um die Binnenalster oder das angrenzende Geschäftsviertel fahren, um dabei ihre zum Teil veränderten Fahrzeuge zu präsentieren und damit Aufmerksamkeit zu erregen“. Zwar sei die Schrauberszene überwiegend friedlich, doch sie ziehe junge Fahrer an, die ihre Wagen gegeneinander ausfahren wollten.

Bei Schwerpunkteinsätzen im April und im September beobachteten Polizisten Autorennen in Hamburg-Veddel, Billbrook oder Winterhude. Fahranfänger, die auf beiden Fahrstreifen mit 140 Stundenkilometern durch den Ort preschen. Im November verurteilte ein Gericht zwei Männer zu neun und 15 Monaten Haft auf Bewährung. Bei einem spontanen Rennen am Berliner Tor war einer von Ihnen mit Tempo 100 gegen einen Lichtmast gerast. Sein Beifahrer starb. Der Wagen hatte 367 PS.

Reifen bis zur Brust

In einer Tuning-Werkstatt auf der anderen Seite der Stadt sitzt der Mechaniker Sebastian Korte vor einem Regal voller silberner und goldener Pokale und sagt: „Du kannst dich auch mit Papas Auto totfahren.“ Korte, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist 36 Jahre alt, ein breiter Kerl mit ausrasiertem Nacken und leiser Stimme. Er motzt seit fünf Jahren Autos auf, sie sind zu zweit in der Spezialwerkstatt. Alufelgen stehen auf dem Boden, vier Reifen reichen Korte gestapelt bis zur Brust, so breit sind sie. Allein für die Räder geben seine Kunden oft 2.000 Euro aus. Die sind aber meist nur der Anfang.

Der dunkelbraune Porsche Cayenne, der heute in der Werkstatt steht, ist breiter geworden. Auch andere Luxusmodelle bekommen hier Umbauten, die Reparaturwerkstätten direkt ablehnen würden. Maßarbeit. Kortes Chef hat früher einmal Motoren von Kleinwagen frisiert. Er stammt aus der Szene, die sich heute an der Aral-Tankstelle trifft. Heute allerdings bleibe er an den Wochenenden lieber zu Hause. „Wir sind aus dem Alter raus“, sagt Korte.

Tuning-Treffen, die die beiden Mechaniker besuchen, seien gesittete Veranstaltungen wie der Ostersonntags-Cruise auf einem abgesperrten Flugplatz. Hier bewertet eine Jury die aufgemotzten Schlitten, wer an einem guten Ruf in der Szene interessiert ist, fährt vor. Auch Rennen sind hier erlaubt. Dies ist Privatgelände.

Früher trafen sich die Cruiser in Allermöhe auf dem Parkplatz der Tankstelle Tankpark, fünf Minuten vom heutigen Aral-Treff entfernt. 2011 mussten sie gehen. Die Lkw-Fahrer hätten nicht schlafen können, erinnern sich die Tankpark-Mitarbeiter. Heute sehen sie die teuren Wagen freitags vorbeifahren, außerdem die vielen Polizisten, und schließlich die Nachbarn. Ältere Leute, die am Wochenende hierherkommen und den Kopf schütteln. „Es ist wieder alles voll“, sagen sie dann.

Zu viel schlechte Presse

Die Cruiser selbst reagieren empfindlich, wenn Journalisten sie nach ihren Treffen fragen. Einige von denen, die zur Tankstelle kommen, haben einen Verein gegründet, der „Cruiser helfen Kindern“ heißt und Gutes tun soll. Bloß berichten wollen sie davon nicht mehr. Zu viel schlechte Presse. Zu viele der Behauptungen, hier träfen sich bloß Raser. Auf Facebook teilt die Szene Berichte über illegale Straßenrennen. „Wie oft denn noch? Bitte nicht mit Journalisten sprechen!!!“, schreibt jemand mit dem Profilnamen „Cruisen Hamburg“. Auch der Tankstellenpächter wehrt ein Gespräch ab. Von harmlosen Schraubern wolle doch eh niemand etwas hören.

Die Polizei stand unterdessen im vergangenen Jahr jedes Wochenende vor der Aral-Tankstelle in Allermöhe. Sie drehten Videos und maßen die Geschwindigkeit der Wagen. Dort herrsche Ruhe, heißt es. Auf dem Jungfernstieg im Stadtzentrum wurden bereits im August 2015 Blitzgeräte aufgestellt. Doch im vergangenen Sommer klagten Anwohner am Valentinskamp, ein paar Straßen nördlich, über heulende Motoren. Der Hamburger Senat wirkt ratlos. Die jungen Leute hätten „zu polizeilichen Angeboten grundsätzlich eine kritische bis ablehnende Grundhaltung“, heißt es in der Stellungnahme.

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