Deutschlands dienstältester Atomgegner: Der Förster aus dem Kernkraftwald

Vor genau 60 Jahren begann in Deutschland der Widerstand gegen die Atomkraft. Und zwar im Garten von Wilhelm Knobloch in Karlsruhe.

Atomkraftgegener Wilhelm Knobloch

Seit 60 Jahren gegen Atomkraft aktiv: Wilhelm Knobloch Foto: Albert Josef Schmidt

KARLSRUHE taz | Für ein paar Anekdoten ist er immer noch zu haben. Und so sitzt Wilhelm Knobloch – inzwischen über 90 Jahre alt – während einer Tagung der Grünen auf einer Bühne in Karlsruhe und erzählt. Davon, wie er als Revierförster im Karlsruher Hardtwald zum ersten prominenten Atomkraftgegner der Republik wurde. Das ist nun genau sechs Jahrzehnte her.

Völlig überraschend sei er damals mit dem Thema Atomenergie konfrontiert worden, sagt Knobloch, ergraut, aber immer noch ganz schön wach. Das war 1956 – vier Jahre, bevor in Deutschland der erste kommerzielle Reaktor ans Netz ging, das Atomkraftwerk im unterfränkischen Kahl.

Knobloch erinnert sich: „Ich hatte einen Tag Urlaub und arbeitete barfuß im Garten.“ Plötzlich hielt ein Auto mit Stuttgarter Kennzeichen. Vier Herren steigen aus, sie stellen sich nicht vor, sie stellen Knobloch nur Fragen. Es geht ihnen um das angrenzende Waldgebiet – und Knobloch antwortet brav. Freimütig zeigt er den Unbekannten seinen Forst. Den Mumm, sie nach ihrer Mission zu fragen, hat er nicht. Noch ist er nur ein einfacher Förster, der mit der großen Politik wenig am Hut hat.

Erst am Abend dämmert es Knobloch: „Ich habe heute einen großen Fehler gemacht“, sagt er zu seiner Frau. Denn er begreift, dass mit diesem Wald etwas los ist. Seine Frau sieht es noch gelassen: „Sei froh, dass du nicht weiter gefragt hast“, sagt sie, „wenn die Herren sich nicht offiziell vorgestellt haben, trifft dich auch keine dienstliche Schweigepflicht.“

Wenige Tage später liest Knobloch es in der Lokalzeitung: Ein Atomforschungszentrum soll ganz in der Nähe seines Forsts gebaut werden. Der bislang geplante Standort für die „Reaktorstation“ in Karlsruhe-Maxau ist gestrichen worden – zu viele Menschen leben dort in der Nähe. Im Hardtwald sind es viel weniger.

Mit Fahrrad und Geigerzähler

Später werden in Karlsruhe in den 70er und 80er Jahren abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken wiederaufgearbeitet. Damals ist Knobloch häufig mit dem Fahrrad und einem Geigerzähler um die Atomanlage herumgefahren, um zu messen.

Am Anfang will er die Region noch vor der Atomanlage bewahren – und gründet Ende 1956 zusammen mit seinem Forstamtsleiter und einem Karlsruher CDU-Stadtrat die „Arbeitsgemeinschaft der Hardtwaldfreunde“, die wohl erste Umweltinitiative der Region. Dann ruft er die „Aktionsgemeinschaft Heimatschutz Friedrichstal“ ins Leben. Die Zeit nennt ihn später „Deutschlands dienstältesten Atomkraftgegner“.

Die Atomwirtschaft nimmt den Karlsruher Revierförster sehr ernst

Schnell ist der Förster mit Atomkritikern in ganz Deutschland vernetzt. Es sind ja noch wenige – und man kennt sich. Seine Mitstreiter werden der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Bechert sowie Bodo Manstein, später Mitgründer des Bunds für Umwelt und Naturschutz. Auch den österreichischen Zukunftsforscher Robert Jungk lernt Knobloch kennen, ebenso den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer. Der Widerstand ist überparteilich.

Mittendrin der Karlsruher Förster. Knobloch kooperiert mit den Nachbargemeinden Friedrichstal und Linkenheim bei einer – letztlich vergeblichen – Klage gegen den Bau der „Reaktorstation“. Wenige Jahre später kämpft er – abermals ohne Erfolg – gegen eine Pilotwiederaufarbeitung auf demselben Gelände.

Die Atomwirtschaft nimmt Knobloch trotzdem sehr ernst. Der Bauherr, die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, lässt sogar Flugblätter gegen den „Förster aus dem Kernkraftwald“ drucken – und lässt sie den örtlichen Zeitungen beilegen, wo auch immer der Kritiker zum Vortrag auftaucht.

Später erst wird manch einer nachdenklich. Zum Beispiel der Karlsruher Landrat Joseph Groß, den sie hier „Atom-Sepp“ nennen, weil er stets für den Bau der Atomanlagen war: Als später die Probleme der Technik offenbar werden, nennt er das Forschungsgelände eine „Aufopferungslandschaft“.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem kürzlich erschienenen Buch von taz-Autor Bernward Janzing, der die Geschichte des Atomwiderstands anhand von Biografien ihrer Protagonisten aufarbeitet: „Vision für die Tonne. Wie die Atomkraft scheitert – an sich selbst, am Widerstand, an besseren Alternativen“. Picea Verlag, Freiburg, 272 Seiten, ISBN: 978-3-9814265-1-9.

Ein bemerkenswertes Wort, findet Knobloch. Tatsächlich gibt es in Karlsruhe jede Menge Unfälle: Einmal fließen radioaktive Abwässer in einen angrenzenden Kanal, dann verdampft im „Mehrzweckforschungsreaktor“ radioaktives Schwerwasser in die Reaktorhalle und dringt nach außen, ein anderes Mal werden auf der Müllkippe im nahen Leopoldshafen radioaktive Abfälle gefunden.

Viel Feind, viel Ehr: Trotz seines Widerstands wird der Förster aus dem Hardtwald 1992 für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Ausgerechnet er, der Landesbeamte, der so oft gegen Entscheidungen der Landesregierung opponiert hatte. Das ist Knobloch auch heute noch wichtig, an diesem Abend, 60 Jahre nachdem sein Protest begann.

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