: Regieren in der Schlangengrube
Scheitern In Potsdam ist die bürgerliche Rathauskooperation aus SPD, CDU und Grünen geplatzt, ein Revival scheint ausgeschlossen. Doch auch Rot-Rot hat wohl keine Chance
Stadtoberhaupt Jann Jakobs, SPD
von Marco Zschieck
Potsdams Lokalpolitik steht womöglich vor einer längeren Hängepartie. Zwei Jahre vor Ende seiner Amtszeit als Oberbürgermeister steht das langjährige Stadtoberhaupt Jann Jakobs (SPD) ohne Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung da. Und damit nicht genug: In Kürze müssen zwei von vier Dezernentenposten neu besetzt werden. Und die nächste Kommnalwahl, die neue Mehrheiten bringen könnte, steht erst 2019 an.
Die seit acht Jahren bestehende Rathauskooperation aus SPD, CDU und Grünen ist geplatzt. Auslöser war die gescheiterte Wahl des von den Grünen vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Baubeigeordneten. Nun soll es an diesem Montag in einer Sondersitzung den nächsten Anlauf geben. Der parteilose Kandidat Bernd Rubelt leitet derzeit das Bauamt im beschaulichen holsteinischen Eutin und gilt auch für die oppositionelle Linke als wählbar. Eine Mehrheit für ihn ist also möglich, aber keineswegs sicher. Selbst wenn Rubelt gewählt wird, dürfte er das Amt geschwächt antreten. Und dies auf dem Posten, der mit der Verantwortung für das Bau- und das Verkehrsressort gleich zwei notorische Konfliktfelder bereithält.
Eigentlich wäre Rubelt nämlich nicht nur die zweite Wahl, sondern die dritte. Seit der frühere Baudezernent Matthias Klipp (Grüne) im November 2015 nach einer Affäre um seinen privaten Hausbau abgewählt wurde, steht Potsdam ohne einen Kopf für die Stadtentwicklung da. Ein erster Wahlversuch war im Juni gescheitert. Der Wunschkandidat, Jürgen Rausch (SPD) aus Marburg, hatte kurzfristig zurückgezogen. Die Stelle musste erneut ausgeschrieben werden.
Im Dezember dann das Fiasko: Der nächste Wunschkandidat Jakobs, der Kasseler Baudezernent Christoph Nolda (Grüne), fiel in drei Wahlgängen krachend durch. Er stand für eine dezidiert grüne Verkehrspolitik und galt als durchaus streitbar. Jedes Mal stimmte eine Mehrheit gegen ihn – und das, obwohl selbst die oppositionelle Fraktion Bürgerbündnis/FDP Unterstützung angekündigt hatte. Seine Gegner müssen also in auch in den Fraktionen von SPD oder CDU gesessen haben, auf die sich Rathauschef Jakobs eigentlich stützt.
Den Grünen wurde es daraufhin zu bunt. Sie erklärten die Rathauskooperation für gescheitert. Fraktionschef Peter Schüler sprach von einem „schmutzigen Spiel“. Auch die Wahl von Rubelt wollen sie nun nicht mehr mittragen. Dieser könne „kaum auf bau- und verkehrspolitische Kompetenzen verweisen“.
Theoretisch hätte der Posten des Baudezernenten auch ein drittes Mal ausgeschrieben werden können. Doch davor schreckte Jakobs zurück. Einerseits bliebe so das überlastete Bauressort bis zum Sommer führungslos. Andererseits stellte sich die Frage, wer sich überhaupt noch in Potsdam bewerben würde. Das werde sich jeder drei mal überlegen, räumte selbst der Rathauschef ein.
Ein Revival für die Rathauskooperation scheint ausgeschlossen. Damit hat sich auch Jakobs abgefunden. „Die Grünen befinden sich in der Schmollecke, sehen sich als Opfer“, sagte er kurz vor Jahresende in einem Interview. Die Grünen reagierten entsprechend verschnupft. „Der Oberbürgermeister verkennt die Lage“, teilte der Grüne Fraktionschef Peter Schüler mit.
Eine rot-rote Kooperation scheint zwar bei einigen Themen wie beim kostenlosen Schulessen für Kinder aus armen Familien möglich. Aber beide Fraktionen bringen es zusammen nur auf eine Mehrheit von einer Stimme im Stadtparlament. Es läuft also auf eine Politik der wechselnden Mehrheiten hinaus. Das dürfte einigermaßen spannend werden: Im ersten Quartal muss Jakobs eine Mehrheit für seinen Haushaltsentwurf 2017 finden. Bis zum Sommer soll auch eine Nachfolgerin für die aus Altersgründen ausscheidende Kulturdezernentin Iris Jana Magdowski (CDU) gewählt werden.
Ebenfalls angeschlagen ist SPD-Fraktionschef Pete Heuer. Als Kopf der Rathauskooperation ist es ihm nicht gelungen, eine Mehrheit für den Vorschlag des Oberbürgermeisters zu sichern. Dabei hat er wohl Warnsignale überhört. Wie die Potsdamer Neuesten Nachrichten berichteten, hatte Heuer Stunden vor der Wahl eine Mail eines SPD-Fraktionsmitglieds erhalten, in der eine klare Mehrheit gegen Noldas Wahl angekündigt wurde. Heuer führt die Fraktion erst seit Herbst, nachdem der langjährige Fraktionschef Mike Schubert auf den Posten des Sozialdezernenten gewechselt war.
Dass es in Potsdam nicht einfach ist, zum Dezernenten gewählt zu werden, musste auch er erleben. Im Juli brauchte es drei Wahlgänge und viel gutes Zureden seitens des Oberbürgermeisters, um die Mehrheit für Schubert zu sichern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen