: Helden für uns
Wir lassen lesen David Foster Wallace kommt der Wirklichkeit des Profitennis so nah wie kaum ein anderer
Der große US-amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace zählte selbst als Jugendlicher zu den besten Tennisspielern von Illinois, wo er aufwuchs. Auch in seinem 1.400 Seiten starken Opus Magnum „Infinite Jest“ (1996) ging es um Tennis – einer der Protagonisten, Hal Incandenza, ist ein aufstrebendes Talent.
Die Library of America hat mit der „String Theory. David Foster Wallace On Tennis“ nun die besten Essays und Reportagen Foster Wallace’ zum Thema Tennis versammelt. Es ist nicht immer einfach, sie zu lesen; aber es ist eine Freude. Von den insgesamt fünf langen Artikeln sind jene über den einst als große Nachwuchshoffnung geltenden Michael Joyce und Roger Federer schlicht sensationell.
Aus mehreren Gründen sind seine Texte so gut: Erstens sucht er die Orte auf, die im konventionellen Sportjournalismus nicht vorkommen. Er schaut sich tagelang die für die Spieler quälenden Qualifikationsturniere an (durch diese Tortur begleitet er Joyce), beschreibt die Atmosphäre auf den Courts, auf denen der 219. gegen den 345. der Weltrangliste vor kaum mehr als vier Zuschauern antritt, während der Regen das Spiel zum wiederholten Male in die Unterbrechung zwingt.
Zweitens hat Foster Wallace es drauf, in Sprache zu gießen, wie Heldenproduktion im Sport funktioniert. Er verfolgt einen rezeptionsästhetischen Ansatz. Der asketische, hart arbeitende Tennisprofi opfert sich an der Stelle des Zuschauers, schreibt er in einer Passage, er steht für unser optimiertes Selbst: „To be a top athlete, performing, is to be that exquisite hybrid of animal and angel that we average unbeautiful watchers have such hard time seeing in ourselves“, schreibt er.
Drittens hat er dabei einen ziemlich morbiden Humor, vor allem bei den Beschreibungen der Spieler. Den Schweizer Jakob Hlasek – ältere Tennisfans werden sich erinnern – beschreibt er äußerlich etwa als „either a Nazi male model or a lifeguard in hell“. Die Beobachtung, die er in Bezug auf Michael Chang macht, trifft ebenso punktgenau: „Michael Chang [has] an expression of deep and intractable unhappiness, as unhappy a face as I’ve ever seen outside of a Graduate Writing Program.“
Und viertens hat eben niemand so über die Ästhetik des Sports geschrieben wie Foster Wallace in dem Text über Federer, den er anlässlich des 2006er Wimbledon-Finals gegen Rafael Nadal verfasste (da ist von einer „bloody near-religious experience“ die Rede, Federer spielen zu sehen). Dicht und exakt benennt er die „Federer Moments“ – was sie so besonders macht und was dessen Genie ist.
In der Tat kommt einem oft der vom Ethnologen Clifford Geertz für die Kulturwissenschaften geprägte Terminus der „Dichten Beschreibung“ in den Sinn – denn so nah dran an der Wirklichkeit des Profitennis war vielleicht außer Foster Wallace niemand. Jens Uthoff
David Foster Wallace: „String Theory. David Foster Wallace On Tennis“, Library of America 2016, 158 S., etwa 16 Euro
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