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: Werner Herzog träumt das Internet

„Lo and Behold – Reveries of the Connected World“ (USA 2015, Regie: Werner Herzog)

Bei der ersten Kommunikation via Internet im Jahr 1969 ging etwas schief: Der Empfängercomputer stürzte ab, bevor das „g“ von „log“ für den Login ankam. Also stand da nur „lo“, wie in „lo and behold“, in etwa: „Sieh da!“ Oder auch: „Sieh und staune!“ Das gefällt Werner Herzog. Er sieht gern, und noch lieber staunt er. Das Schöne ist, dass er, wohin er sieht, Erstaunliches findet. Und so wird selbst aus einer Talking-Heads-Doku über das Internet seine Geschichte, seine Gegenwart, ein sehr eigenes Ding, das man auf der Stelle als Herzog-Film identifiziert.

Natürlich auch wegen der Stimme. Herzog spricht den Kommentar wieder selbst. Es ist, zum einen, das auf einem bajuwarischen Fundament schwimmend verlegte Englisch, das nach nur einem Menschen auf der Welt klingt. Recht heiser inzwischen, die Jahre, die Abenteuer, die Kämpfe nisten in dieser Stimme. Sie bricht nicht, aber glatt ist sie auch nicht, mal dunkel, mal hell, sie ist die Farbe, die sich auf alles legt, auf das Herzog blickt. Und es ist nicht nur die Stimme, es ist mehr noch die Intonation, weitab von den auf Neutralisierung geschulten Sprechern, die man sonst hört. Herzog staunt, er staunt heiser, er kann nicht aufhören zu staunen, er träumt heiser, er kann nicht aufhören zu träumen, kaum zu glauben, dass das jedes Mal funktioniert.

„Reveries“ ist die von ihm gewählte Genre-Angabe, Tagträume also, „Reveries of the connected world“, also Tagträume von der verbundenen Welt. Das trifft die Sache ganz gut. Auch weil es Herzog die Lizenz gerade zum Unverbundenen und vom Thema weit Abschweifenden gibt. In kurze Kapitel ist der Film unterteilt, er reicht vom erwähnten ersten Login bis auf den Mars. Es geht um fußballspielende Roboter, um Menschen, die keine Funksignale ertragen, um eine Familie, die durch per Mail verschickte Fotos ihrer bei einem tödlichen Unfall entstellten Tochter traumatisiert ist. Es geht auch um die mögliche Wiederholung des Carrington-Events, einen Sonnensturm, der auf der Erde alles lahmlegen würde, mit absehbar apokalyptischen Folgen.

Um all das geht es, auf kurze Kapitel verteilt. Viel zu durcheinander für jedes Argument, zum Glück. Herzog träumt das Internet vor sich hin. Die traumatisierte Familie arrangiert er zu einem Porträtbild um einen Tisch mit zweimal acht Muffins und neun Croissants. Die Mutter erzählt was vom Teufel, die Töchter sitzen totenbleich und ganz still. Auch Elon Musk, der Tesla- und Solarunternehmer, der mit SpaceX auf den Mars will, redet erst und dann schweigt er. Man spürt die Welten, die zwischen Herzog und ihm liegen. Musk hat – wenn irgendwer, dann er – eine Vision, aber seine Vision ist ganz nüchtern, entsetzlich nüchtern, in dieser Nüchternheit ist der Wahnsinn, der auch darin steckt, der Sicht völlig entzogen. Das könnte Herzog nie passieren: Er stellt seinen Wahn und den der anderen liebend gern aus.

Nicht aber Musk. Der schweigt. Wahrscheinlich hat ihn Herzog gerade gefragt, was er viele andere fragt: Ob das Internet von sich selbst träumt. Auf eine solche Frage hat ein Musk mit Sicherheit keine Antwort: Eine Frage wie diese does not compute. Ist ja auch eine bescheuerte Frage, eine echte Herzog-Frage. Aber sie macht die Befragten staunen. Sie bringt die einen auf Philip K. Dicks „Do Androids Dream of Electric Sheep?“. Ein anderer sagt: Das WWW, das Tim Berners-Lee erfunden hat, ist schon dieser Traum des Internets von sich selbst. Eines steht allerdings fest: Einen Film wie Werner Herzogs „Lo and Behold“ hat sich das Netz nicht träumen lassen. Ekkehard Knörer

Die DVD ist als Import aus Großbritannien ab 15 Euro über deutsche Händler zu beziehen