piwik no script img

Hausbesuch Die Sehnsucht nach Berlin ist bei Tuğba Gündüz Can und Soner Can nie verflogen, seit sie mit ihren Eltern wieder in die Türkei zurück mussten. Deshalb soll ihre Tochter nun in Berlin zur Welt kommen„Was kann ich mir noch wünschen?“

von Luciana Ferrando (Text) und Amélie Losier (Fotos)

Zu Besuch bei Tuğba Gündüz Can, die im Moment in Berlin-Spandau bei Verwandten wohnt, um in Berlin ihr erstes Kind zu Welt zu bringen.

Draußen: Auf der einen Seite der Klosterstraße in Spandau gibt es Kebab und Wurstfrühstück für 3,50 Euro, tosenden Lkw-Verkehr und ein verlassenes Postgebäude mit Graffiti besprayt. Auf der anderen Seite ist die Havel, der Fluss, mit kahlen Weiden, Wiesen überzogen von Raureif, einem Schiff namens Uranus. Dazwischen, in einer ruhigen Nebenstraße ein Altbau von 1906. Dort ist Tuğba Gündüz Can untergekommen. Der Rathausturm, die Arkaden, alles weihnachtlich beleuchtet, ist von hier aus zu sehen.

Drin:Tuğba Gündüz Cans Lieblingsecke ist die Bibliothek im großen halbrunden Wohnzimmer. Sie ist Hintergrund für den mit Plastikkerzen und goldene Weihnachtskugeln dekorierten Weihnachtsbaum. Ein Flachbildschirm steht gegenüber der molligen Couch, ein weißer Teppich liegt auf den Holzdielen.

Tuğba:Gündüz Cans Großvater und die Eltern kamen als türkische GastarbeiterInnen nach Deutschland. 1984 wurde Tuğba in Berlin geboren und wohnte die ersten Jahren im Berliner Bezirk Wedding. Als sie 16 war, kehrte die Familie in die Türkei, nach Izmir, zurück.

Das Alte festhalten: Tuğba findet Wege, mit einem Bein in Berlin zu bleiben: „Ich hatte eine Leidenschaft für die deutsche Sprache und wollte andere begeistern.“ Deshalb studierte sie Deutsch in Istanbul und arbeitete an einer deutschen Schule als Lehrerin.

Hier. Dort: „Als Kind wollte ich nur lernen und viel wissen.“ Später wurde ihr klar: Ohne es weiter zu geben, hat Wissen keinen Wert. 2010 macht sie deshalb in Heidelberg einen Master in „Erziehungswissenschaft und Germanistik im Kulturvergleich“. In der Stadt, in der sie sich wie „in einem Roman fühlte“, arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität. „Mein Traumjob!“ – aber solche Stellen im universitären Mittelbau sind oft befristet. Sie bekam Angst vor einer „unsicheren beruflichen Zukunft“ und zog zu ihrem Mann nach Bulgarien. Dort hatte Soner Can einen Job als Informatiker und sie fand eine Assistentinnenstelle in einer Firma. Seit 2015 wohnt sie in Sofia, versucht Bulgarisch zu lernen. Derzeit übt sie sich auch in der Sprache, die Mütter mit den Ungeborenen sprechen.

Berlin:Wenn sie Sehnsucht nach Berlin hat, denkt sie an die glücklichen Jahren ihrer Kindheit. Als zwischen Gündüz Can und Soner Can das erste Mal vom Kinderkriegen die Rede war, entschieden sie, das Kind in Berlin zu bekommen. Seit Beginn der Schwangerschaft sei alles organisiert: Krankenhaus, Mutterpass, ÄrztInnen. Alles soll auf Deutsch und unkompliziert erfolgen. Sie, ihr Mann und das Baby werden in der großen Spandauer Wohnung seiner Verwandten bleiben, bis die nachgeburtlichen Untersuchungen erledigt sind. Dann werden sie nach Sofia zurückfliegen.

Hoffnung: Warum in Berlin? Sie habe die Hoffnung, dass eine in Berlin Geborene auch „ein bisschen Berlinerin“ werde. „Mein Mann und ich sind hier geboren und aufgewachsen, wir fühlen uns als Teil dieser Stadt und möchten, dass unser Kind es auch wird.“

Tuğba und Soner: Eine romantische Kennenlerngeschichte gibt es bei Tuğba und Soner nicht, sie kannten sich schon immer. Gerade in Deutschland angekommen, lernten sich ihre und seine Eltern kennen und wurden schnell enge Freunde. Tuğba und Soner waren fast wie Geschwister. Als seine Familie, schon früher als ihre, in die Türkei zurückging, trafen sie sich nur noch im Urlaub oder auf Hochzeiten. Als Gündüz Can wieder in Izmir lebte, wurde nach einer Weile klar, dass da mehr war zwischen ihr und Soner. „Die Familien hatte keinen Einfluss auf unsere Beziehung. Wir haben uns am Anfang nicht getraut, ihnen von uns zu erzählen“, sagt Tuğba. „Als sie es erfuhren, freuten sie sich riesig.“

Liebe:Sie sagt, sie sei verliebt wie am ersten Tag und träume davon, mit Soner alt zu werden. Sie zeigt Fotos ihrer Hochzeit in Izmir. Sie erkenne sich in ihrem weißen Kleid und mit 28 Kilo weniger nicht wieder, sagt sie. Wie viel das Kind wiegen wird, ob es „eine kleine süße Nase“ hat, wird sie bald erfahren. Geburtstermin ist der 1. Januar.

Weihnachtsgeschenk:Ob das Mädchen bis zum Neujahr warten kann, bis es auf die Welt kommt, bezweifelt der Arzt. Zu Weihnachten könnte das Baby auch schon da sein. „Als wäre es ein Weihnachtsgeschenk“, sagt Tuğba Gündüz Can, hofft aber trotzdem, dass es „2017 wird“. Warum das denn? Weil das Kind genau mit sechs Jahren eingeschult werden soll. Alles soll richtig laufen.

Alina:So soll das Mädchen heißen. „Alina wird unsere edle Zauberin“, das verspreche die Bedeutung des Namens. So wie Tuğba „auf einen Baum im Himmel zeigen, der mit den Wurzeln nach oben und den Blättern nach unten wächst“ bedeutet. „Ein Name, der so irgendwie über Leben und Tod bestimmt.“ Tuğba kommt im Koran vor und ihr Vater wollte unbedingt, dass sie so heiße. Auch wenn die wenigsten wissen, dass „der Name wie Tuba ausgesprochen wird“. Ihre Tochter soll einen Namen mit Charakter haben, der einfach zu rufen ist, egal in welcher Ecke der Welt.

Die Wege:„Ich möchte, dass Alina interkulturell aufwächst, so wie ich.“ Türkisch, Deutsch und Bulgarisch soll sie von Anfang an sprechen. Gündüz Can will Alina Vielfalt in ihrem Leben ermöglichen. Sie sagt, ihre Tochter soll andere Perspektiven in sich tragen als Menschen, die in einer einzigen Kultur sozialisiert werden. „Kultur kann man nicht wie Sprachen lernen, man muss sie erleben.“

Die Welt:Hoffentlich, das wünscht sich die Mutter, wird die Tochter ihre Bewegtheit erben, und ihren eigenen Radius noch erweitern, dahin kommen, wo die Mutter noch nie war. „Afrika, Amerika. Für mich ist es zu spät, ich muss erst mal für sie da sein“, sagt Gündüz Can. Wenn Alina älter ist, würde sie gerne mit ihr und Soner Richtung Turkmenistan reisen und Asien entdecken.

Die Wünsche: Empathisch soll die Tochter werden. „Ich stelle mir vor, dass sie ehrenamtlich arbeitet und Leuten hilft. Auch dass sie studiert und erfolgreich ist in einem Job, der ihr Spaß macht“, wünscht sie sich. Alina werde das alles aber am Ende selber wissen müssen, sagt sie. Dass sie ihrer Tochter ein glückliches Leben bereiten kann, wünsche sie sich für Weihnachten und jeden Tag.

Das Glück: „Leichter wäre zu sagen, wann ich unglücklich bin, denn ich bin fast immer glücklich“, sagt Gündüz Can. Das gehe, wenn man, wie sie, nur das Positive sieht. „Meine Eltern leben noch, ich liebe meinen Mann und meine Arbeit und bald habe ich eine Tochter. Was kann ich mir noch wünschen?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen