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Raus aus London? Fit für Frankfurt!

StadtentwicklungFrankfurt versucht mit einer Charmeoffensive solvente Brexit-Flüchtlinge an den Main zu locken

Sieht toll aus, ist aber verdammt teuer: Frankfurt Foto: Tim Wegner/laif

FRANKFURT/MAIN taz | „The hippest locations in FrankfurtRhineMain“ – mit einem Onlinemagazin in englischer Sprache und einer 24-Stunden-Hotline wirbt das Frankfurter Regionalmarketing in London bei potenziellen Brexit-Opfern für einen Umzug an den Main. Ein Großteil der Unternehmen, die ihre Geschäfte in Kontinentaleuropa bislang aus der britischen Hauptstadt steuern – so die Hoffnung –, werden London den Rücken kehren oder wenigstens eine Filiale in Kontinentaleuropa aufmachen müssen.

Die Europäische Bankenaufsicht und jene für die Pharmaunternehmen, die bislang in London residieren, werden wohl mit dem Brexit London verlassen. Bereits 2017 dürften vor allem im Bankensektor erste Entscheidungen fallen, davon geht eine Studie der Hessischen Landesbank Thüringen aus, die die Chancen des Finanzplatzes Frankfurt positiv bewertet.

„Wir sind gut im Rennen“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zur Bilanz einer Werbetour nach New York und Brüssel, bei der er EU-Offizielle, Firmenchefs und Banker von den Vorteilen der Rhein-Main-Region zu überzeugen versucht hatte. Sein Stellvertreter, der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, kehrte im letzten August von einem Besuch in London eher ernüchtert zurück: „Es herrschen komische Vorstellungen über das deutsche Arbeitsrecht oder die Steuerbelastung in Deutschland“, sagte er nach seiner Rückkehr aus London. Der Internetauftritt des Regionalmarketings „Welcome to Frankfurt Rhine-Main“ preist deshalb nicht nur „locations“ an, sondern informiert auch über Investitionschancen, Arbeits- und Steuerrecht.

Vor allem der Finanzstandort Frankfurt könnte profitieren. Mit dem Brexit verlieren die Banken der City of London nämlich ihren EU-Bank-Passport, der für die meisten Geschäfte in der EU erforderlich ist. „Es ist sehr schwer vorstellbar, dass Großbritannien bei den Austrittsverhandlungen diese Rechte für seine Banken nicht verliert,“ so Wirtschaftsprofessor Reinhard Schmidt vom House of Finance der Frankfurter Goethe-Universität zur taz.

Von den 600.000 Beschäftigten in dieser Branche Londons seien die Hälfte „footloose“, also nicht an den Standort gebunden, rechnet Schmidt vor. Frankfurt habe mit Dublin, Paris, Amsterdam, Luxemburg und Mailand zwar starke Konkurrenten. „Wenn aber nur 20.000, also weniger als 10 Prozent der nicht Ortsgebundenen von London nach Frankfurt wechseln, ist das wenig für London, aber viel für Frankfurt“, so Schmidt.

Branchenkenner berichten, große Banken seien bereits im Gespräch mit der deutschen Bankenaufsicht. „Die Szenarien für die neuen Strukturen sind bereits ausgearbeitet, Entscheidungen fallen aber erst nach dem offiziellen Brexit-Antrag, den die britische Regierung für Ende März angekündigt hat“, so ein Insider zur taz.

Nicht alle wären begeistert über den Zuzug aus dem Norden. Schon jetzt wächst die Metropolenregion Frankfurt dramatisch. In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der EinwohnerInnen der Stadt um 75.000 auf inzwischen 733.500 gestiegen. Die Preise für Eigentumswohnungen haben in den letzten zehn Jahren um sagenhafte 73 Prozent angezogen. Und obwohl es erklärter Wille der schwarz-rot-grünen Stadtregierung ist, endlich für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, nimmt die Zahl der Sozialwohnungen in der Stadt eher ab.

Investoren bauen ein Pres­tigeobjekt nach dem anderen, die Preise haben in Toplagen bereits den Wert von 20.000 Euro pro Quadratmeter erreicht. Dabei verfügt die Stadt Frankfurt nur über eine Fläche von 250 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Köln erstreckt sich über mehr als 400 Quadrat­kilometer.

Nur ein Prozent der noch freien Flächen seien nicht von Schutzvorschriften oder Siedlungsbeschränkungen betroffen, rechnet der neue Planungsdezernent Mike Josef (SPD) vor. Er will einen neuen Stadtteil auf der grünen Wiese im Norden Frankfurts entwickeln, CDU und Grüne sind dagegen.

Auch die Infrastruktur der Stadt bleibt anfällig. Von West nach Ost gibt es nur einen S-Bahn-Tunnel, vier der neun U-Bahnen müssen sich in Nord-Süd-Richtung eine einzige Trasse teilen. Selbst bei den Schulen gibt es Engpässe. Mehrere Gymnasien unterrichten derzeit in Containern.

Auch wenn die Stadtregierung um Brexit-Zuwanderung wirbt – „irgendwann kommt Frankfurt an seine natürlichen Grenzen“, räumte Planungsdezernent Mike Josef kürzlich auf einer SPD-Veranstaltung ein. Trotz der hippen Locations.

CHRISTOPH SCHMIDT-LUNAU

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