: Es gibt ein Leben nach dem Bauhaus
Fotografie Lucia Moholy war lange eine Unbenannte und Unbekannte unter den Bauhäuslern. Jetzt würdigt das Bauhaus-Archiv mit „Die englischen Jahre“ die Vielfältigkeit der Fotografin und Fototheoretikerin
von Brigitte Werneburg
Zu Recht macht das Bauhaus-Archiv Lucia Moholy endlich zur Bauhäuslerin und ließ ihre im englischen Exil erschienene Geschichte der Fotografie jetzt ins Deutsche übersetzen, um sie als vierten Band seiner Bauhäusler-Reihe zu veröffentlichen. Lucia Moholy war keine Bauhäuslerin im strengen Sinn. Weder studierte noch unterrichtete sie dort. Sie war nur die Fotografin der wichtigsten Bilddokumente zum Bauhaus.
Sie fotografierte die Meisterhäuser und ihre Interieurs, die Werkstätten und die dort gefertigten Produkte wie Kannen, Schalen und Bestecke, schließlich die Bauhäusler selbst, in ihrer Rolle als Ehefrau von Laszlo Moholy-Nagy. Sie blieb dabei ungenannt in all den Broschüren, Zeitschriften und Büchern des Bauhauses, die sie dazu redaktionell und verlegerisch betreute und in denen ihre distinkten, sachlich-konstruktivistischen Fotografien die internationale Wirkung des Bauhauses und seines Status als ikonischem Projekt der Moderne entscheidend beförderten.
1928 zieht sie mit Laszlo Moholy-Nagy nach Berlin, wo sie sich 1929 von ihm trennt. 1930 wird die ausgebildete Fotografin in der Nachfolge von Otto Umbehr (Umbo) Fachlehrerin für Fotografie an Johannes Ittens Kunstschule. 1933 emigriert sie, die 1894 in Prag in einer jüdischen Familie geboren wurde, über Prag, Wien und Paris nach London, wo sie bis 1958 lebte. Hier nun setzt das Bauhaus-Archiv an: „Lucia Moholy. Die englischen Jahre“ zeigt erstmals ihre im Exil entstandenen, weitgehend unbekannten Porträt-, Landschafts- und Architekturfotografien, wobei im Zentrum der Ausstellung ihr 1939 im Penguin Verlag veröffentlichtes Standardwerk „A Hundred Years of Photography 1839–1939“ steht. Lucia Moholy verfasste damit keine simple Technikgeschichte, sondern sie untersuchte, „in welchem Maße wiederum die fotografie als aktiver faktor ihren teil dazu beigetragen hat, die umwelt zu verändern“. Es geht ihr darum, „stellung und funktion der fotografie innerhalb der modernen zeitgeschichte herauszuarbeiten“.
Sie schreibt das Buch – das verwendete Bildmaterial kann, da sich der Nachlass der 1989 in Zürich verstorbenen Künstlerin im Haus befindet, neben der Originalausgabe gezeigt werden – in englischer Sprache, und das gerade mal fünf Jahre, nachdem sie in London angekommen ist.
Rauchende Hände
Wie extrem rasch und erfolgreich ihr Ankommen in der britischen Hauptstadt war, belegen auch ihre Porträtfotografien von Prominenten, Literaten, Wissenschaftlern und Intellektuellen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestritt. Ihr Herkommen aus dem fotografischen Stil des Neuen Sehens zeigt sich dann in der Aufnahme der Schriftstellerin Ruth Fry (1878–1962) im Jahr 1936, die sie so im Profil zeigt, dass es ihr Schattenriss an der Wand ist, der recht eigentlich im Bildzentrum steht, was aber der treffsicheren visuellen Charakterisierung von Fry als von ihrer Aufgabe beseelten Friedensaktivistin keinerlei Abbruch tut.
Neben Gesicht und Kopf interessieren Lucia Moholy vor allem die Hände der von ihr Porträtierten, denen sie eigene Studien widmet. Dass die Fotos aus vergangenen Zeiten stammen, zeigt die Reihe „Rauchende Hände“, wobei sie auch mal „Rauchende Hände (Physiker)“ betitelt ist, was zeigt, dass Lucia Moholy das Porträt der Hand gleichwertig ansieht mit dem des Gesichts. Besonders interessant sind weiterhin ihre Architektur- und Landschaftsaufnahmen und kleinen Stillleben, die, wie es scheint, eher nebenher entstehen wie das hinreißende Bild von ein paar Sonnenschirmen in einem sommerlichen Garten, die sie, tief von unten fotografiert, wie eine Art Luftballons in den Himmel hängt. Und wenn sie in London das moderne Health Centre Peckham des Architekten William Owens fotografiert, ist sie wieder die bekannte Bauhaus-Fotografin.
Doch das ist das Schöne an der Ausstellung: dass hier die unbekannte Fotografin, Fototheoretikerin und -historikerin Lucia Moholy zu entdecken ist. Und ein Leben nach dem Bauhaus. Es wartete durchaus mit anspruchsvollen Aufgaben auf sie, wie etwa ausgedehnte Reisen im Auftrag der Unesco, für die sie sich zu Dokumentationszwecken 1952/53 und 1955/56 in der Türkei aufhielt. Von dort aus reiste sie nach Zypern, dem Libanon, Jordanien, Israel, Griechenland und Syrien und brachte aus diesen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens entspannte Momentaufnahmen mit. Im eigenen Namen fotografierte sie weniger ambitioniert, mit weniger Stilwillen, lieferte deshalb aber nicht weniger großartige Reportagen von ihren Reisen.
Bis 27. Februar, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, Mi.–Mo. 10–17 Uhr, „Hundert Jahre Fotografie 1839–1939“, 39,90 Euro
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