piwik no script img

Sumpfverdacht im Jugendamt

Untreue Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugsverdachts im Jugendamt Hamburg-Mitte. Ein verdächtiger Mitarbeiter wurde bereits fristlos gekündigt

von Kaija Kutter

Ein Mitarbeiter des Jugendamtes im Bezirk Hamburg-Mitte soll sich über zwölf Jahre Fälle ausgedacht und den Staat um rund eine halbe Million Euro betrogen haben. Das Geld für die Hilfen soll er mit einem freiberuflichen Familienhelfer geteilt haben.

Als der Verdacht Ende November durch Mitte-Bezirkschef Falko Droßmann (SPD) publik wurde, war von etwa acht Fällen die Rede, teils soll es sich fiktive Hilfen für fiktive Personen, teils um ausgedachte Hilfsangebote für reale Personen gehandelt haben. Die Sache soll einem Mitarbeiter der Kontrollabteilung „wirtschaftliche Jugendhilfe“ aufgefallen sein, der bereits im August das Dezernat interne Ermittlungen informierte.

Seit Ende September ist die Staatsanwaltschaft mit der Sache befasst und ermittelt wegen Betrugs und Untreue in einem besonders schweren Fall. Am 21. November wurden die Räume im Amt durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt. Droßmann kündigte Aufklärung an. Wenn die Vorwürfe zuträfen, sei das Verhalten des Mitarbeiters „mehr als schäbig“, sagte der Bezirkschef. Denn er habe in Kauf genommen, dass der Ruf der Kollegen und die wichtige Arbeit des Jugendamtes beschädigt würde.

Der Mitarbeiter wurde inzwischen fristlos entlassen, die Schlösser zu seinem Büro ausgetauscht. Sein Komplize soll laut einem Bericht der Hamburger Morgenpost schon gestanden haben. Der Mitarbeiter selbst hingegen noch nicht.

Laut Hamburger Abendblatt gibt es einen weiteren Verdacht. So liegen die Pflegeeltern Holger und Sabine Schuster* offenbar mit dem Mitarbeiter seit Jahren im juristischen Streit. Unter anderem unterstellte das Jugendamt Mitte den Eltern, sie gingen mit ihrem jüngsten Pflegekind Jule* zu oft zu Ärzten und redeten dessen Krankheit herbei. Die Schusters haben durch die rechtlichen Auseinandersetzungen Einblick in zahlreiche Akten und glauben nun, einen weiteren Betrugsfall entdeckt zu haben. So wurde die Jugendamtshilfe für ihre ältere Pflegetochter Eva* nach deren Volljährigkeit eingestellt. Doch fünf Monate später im August 2010 wieder gewährt.

Die junge Frau soll laut Akten 18 Monate lang durch einen freien Träger „Erziehungsbeistand“ in Höhe von 1.356 Euro monatlich erhalten haben. „Doch es fehlen in der Akte dazu alle wichtigen Dokumente“, sagt Sabine Schuster der taz. Sie und ihr Mann waren früher selbst in einem Jugendamt tätig und wissen, wie Akten aufgebaut sein müssen. „Es gibt dort weder einen Antrag von Eva noch Hilfeplanprotokoll oder Berichte des Trägers.“ Auch galt das Mädchen, zu dem die Schusters keinen Kontakt mehr haben, als selbstständig und nicht so hilfsbedürftig, dass sie Erziehungsbeistand brauche. Die Schusters wollen die Akte der Staatsanwalt übergeben.

Die Staatsanwaltschaft hat im Jugendamt umfangreiche Akten beschlagnahmen lassen. „Wir werden diese weiteren Vorwürfe prüfen und suchen nach weiteren Fällen“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nana Frombach.

Wo wird getäuscht?

Den Verdacht, dass bei Abrechnungen getäuscht wird, gibt es bei Behörden öfter, er wird aber nicht immer publik gemacht. In der Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der CDU findet sich eine Liste mit noch nicht abgeschlossenen Verdachtsfällen der vergangenen Jahre.

Im Bezirksamt Hamburg-Altona gab es 2009 Verdacht auf Auszahlung von Sozialleistungen an erfundene Empfänger von 2005 bis 2008 sowie Verdacht auf Zahlung von Fundgeld an fiktive Personen im Jahr 2009.

Im Bezirksamt Eimsbüttel sollen von 2007 bis 2008 fiktive Wohngeldfälle angelegt worden sein. Von 2010 bis 2015 soll es Zahlung von überhöhtem Elterngeld gegeben haben.

Im Bezirksamt Wandsbek soll es 2013 fiktive Straßenbauaufträge gegeben haben, der Verdacht wurde 2014 bekannt.

Im Jobcenter Altona soll von 2007 bis 2012 Geld an Verstorbene gezahlt worden sein.

Bei der Landeskasse Hamburg soll es 2015 zu fiktiven Erstattungen im Rahmen von Vollstreckungsverfahren gekommen sein.

Der CDU-Politiker Philipp Heißner spricht von einem „regelrechten Sumpf“ im Jugendamt Mitte. Er macht das daran fest, dass der Beschuldigte trotz älterer Vorwürfe im Fall des Pflegekinds Jule in eine leitende Position befördert worden sei. Auch stelle sich die Frage, ob der Mann Einzelgänger war oder ob er von Vorgesetzten gedeckt wurde. Zumindest muss jede Hilfeleistung durch einen Vorgesetzten kontrolliert und freigegeben werden.

Zudem war der Beschuldigte offenbar zuletzt selbst Vorgesetzter. Er soll, so berichtet das Abendblatt, nach einer Computersystemumstellung im Jahr 2012 die Passwörter von Kollegen genutzt haben, die im Urlaub waren. Aus Sicherheitsgründen werden nun die Passwörter für die rund 1.500 Mitarbeiter ausgetauscht, bestätigt die Sprecherin des Bezirksamts Sorina Weiland.

Die bei Bekanntwerden der Vorwürfe kursierende Vermutung, der Beschuldigte sei untergetaucht, soll nach taz-Information indes falsch sein.

* Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen