Hamburg fährt auf Sicht

STRATEGIE Seit Jahrzehnten fährt die Polizei in Hamburg das immer gleiche Anti-Rocker-Konzept. Sie überlassen das Rotlichtmilieu so lange sich selbst, bis es so richtig knallt

Die Marek-Gruppe bei einem „Betriebsausflug“ auf Mallorca Foto: dpa

von Magda Schneider

Dass kriminelle Rockergangs aus Hamburg mit dem Rotlichtmilieu als Tourismus- und Wirtschaftsfaktor völlig verbannt werden können, wird bei der Hamburger Polizei wohl niemand glauben. Nicht mal die Sonderkommission „Rocker“, die Anfang des Jahres nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hells Angels und Mongols eingerichtet wurde. „Wir wollen durch präsente Maßnahmen weitere Eskalationen verhindern und so Gewaltausbrüchen entgegentreten“, sagte der Sonderkommissionschef Mirko Streiber.

Seit Jahrzehnten fährt die Polizei in Hamburg das immer gleiche Konzept: Das Rotlichtmilieu regelt sich solange selbst, bis es auf der Straße knallt. Dann geht die Polizei massiv gegen die verfeindeten Cliquen vor. Das war schon in den sechziger Jahren so, als das Milieu noch in der Hand deutscher und österreichischer Luden war.

1973 durfte eine Gruppe Harley-Davidson-Fahrer in Hamburg eine Ortsgruppe der Hells Angels gründen. Es war das erste sogenannte „Charter“ der weltweit operierenden Rocker in Deutschland. Schon bald fielen die „Höllenengel“ mit Schutzgelderpressung im Hamburger Schanzenviertel auf und etablierten sich in St. Pauli als Bordellbetreiber.

Am 11. August 1983 beendete der damalige Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) das Treiben der Hells Angels, denen die brutale Tötung eines Discobetreibers auf der Nordseeinsel Sylt angelastet wurde. 500 Polizisten stürmten das Vereinshaus „Angel Place“ im Schanzenviertel, die Hells Angels und ihre Symbole wurden in Hamburg verboten. Der Prozess gegen 13 Mitglieder der höheren Hierarchie endete mit Haftstrafen bis zu sieben Jahren. Das Verbot konnte jedoch nur auf Grundlage des Vereinsgesetzes durchgesetzt werden, für ein strafrechtliches Verbot wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung reichte es nicht.

Die Hamburger Hells Angels erholten sich. Der Hannoveraner Frank Hanebuth, Präsident des Motorradclubs Bones, übernahm unter dem Emblem der Hells Angels auf dem Hamburger Kiez die Macht in zahlreichen Bordellen, unter anderem im „Laufhaus“ und im „Pascha“ auf der Reeperbahn.

Wieder musste es erst zu sichtbarer Gewalt kommen, bevor die Polizei einschritt. Einige Prostituierte waren von Hells Angels misshandelt und zur Prostitution gezwungen worden. Eine der verprügelten Frauen zeigte ein führendes Hells-Angels-Mitglied an. Bei einer Großrazzia mit 400 Polizisten wurde am 1. November 2000 die neue Führungsriege verhaftet. Es kam erneut zu einem Mammutprozess.

Ähnlich agierte die Polizei auch bei der Gruppe um den Luden Carsten Marek. Die Zuhältertruppe machte sich ab 2000 in der Bordellszene St. Paulis breit und dominierte die Szene rund um die Herbertstraße mit 14 Bordellen und 140 Sexarbeiterinnen.

Im Gegensatz zu den Hells Angels wurde den Mareks nachgesagt, dass sie „ihre Frauen“ den Umständen entsprechend vernünftig behandelten. Als im Mai 2005 unter den Mareks ein Konflikt in eine offene Schießerei auf dem Kiez endete, da zwei Luden auf eigene Kasse arbeiten wollten, schritt die Polizei ein. „Wir können als Polizei nicht Dinge laufen lassen, auch wenn es in den vergangenen Jahren wenig spektakuläre Vorfälle im Rotlichtmilieu gegeben hat“, sagte Milieu-Fahnder Detlef Ubben. Obwohl es strafrechtlich für die Mareks glimpflich verlief und die Huren sogar für die Freilassung „ihrer Männer“ demonstierten, zog sich die Gruppe weitgehend vom Kiez zurück und überließ den Hells Angels wieder das Prostitutionsgewerbe.

Die Hells Angels mischten mit ihrer neuen Ortsgruppe „Harbour City“ in den Bordellen mit, verdienten mit Prostitution, Drogen und Hehlerei von Autoteilen ihr Geld. Lange Zeit galten die Hells Angels gar als Ordnungsfaktor auf dem Hamburger Kiez und andere Rocker­cliquen wie die verfeindeten Bandidos konnten hier nicht Fuß fassen. Die Höllenengel leben in einer Rocker-Welt voller Hierachien, so ein Fahnder. Es sei ein relativ stabiles System, das deshalb auf eine gewisse Art für die Polizei vorhersagbar sei.

2015 wollte die Rockergruppe Mongols um Erkan U. den Hells Angels Konkurrenz machen. Vorläufiger Höhepunkt des Disputs war Ende 2015 die Schießerei auf der Reeperbahn und die Entführung und Misshandlung eines Mongols-Anführers. Die Folge: neun Razzien, fünf verhaftete Hells Angels, vier niedergeschossene Mongols.

Momentan scheint der Machtkampf zugunsten der Hells Angels entschieden zu sein. Diese hatten sich im Juni 2016 in Hamburgs Osten erstmals wieder mit ihren Hells-Angels-Kutten mit Insignien und mehr als einem dutzend Harley Davidson im Konvoi demonstrativ in der Öffentlichkeit präsentiert. Es war eine Machtdemonstration, um allen zu zeigen: „Wir sind immer noch da und stark.“ Vielleicht war dieser Auftritt auch als Hinweis an die neuen Unbekannten in der Rockerszene gedacht: die „Osmanen Germania“, die sich selbst als „Boxclub“ definieren.