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Archiv-Artikel

Vergammelnder Fisch

Angeblich sterben bis zu 70 Prozent des Tiefseefangs nur deshalb, weil die Fischer ihre Netze nicht wieder finden – oder nicht wieder suchen

VON SABINA GRIFFITH

Fischer Fritz fischt frische Fische. Meistens jedenfalls. Manchmal aber stinken Fritzens Fische bereits zum Himmel, wenn er sie aus dem Meer holt. Von den Flottenstärken über die Fangquoten bis hin zu der Maschengröße der Fischernetze – die europäischen Fischereibestimmungen reglementieren zwar so ziemlich alles. Dass aber ein Netz an die Oberfläche geholt werden muss, bevor sein Inhalt vergammelt, steht nirgends. Sollte wohl aber besser: Experten haben jetzt herausgefunden, dass die Hälfte des Tiefseefangs unbrauchbar ist.

An die 50 Schiffe, darunter auch sechs deutsche, haben sich in den vergangenen Jahren darauf spezialisiert, die tiefen Regionen des Nordatlantiks nach genießbaren Haifischarten, Tiefseekrebsen und dem begehrten Seeteufel abzugrasen. Bei den deutschen Schiffen handelt es sich um die Kutter „Nordsee“, „Rodas“, „Lady Beatrice“, „Belen“, „Pesorsa Dos“ und „Pesorsa Tres“, die heute in spanischer Hand sind. Wegen der limitierten Schiffskapazitäten innerhalb der Europäischen Union fahren sie allerdings noch unter deutscher Flagge. Bei ihrer Jagd gehen die Fischer mit größtmöglicher Effizienz vor. Für ihren Beutezug verwenden sie spezielle Stellnetze, die sich nicht selten über 250 Kilometer erstrecken. Für die umzingelten Meeresbewohner gibt es also kaum ein Entrinnen.

Bis hierhin wäre die Geschichte wohl noch kein Skandal, denn Fischers Fritz macht seinen Job schließlich nur, um unsere Gier zu befriedigen. Das Makabre aber ist: Oft vergehen Wochen, bevor die riesigen Netze wieder eingeholt werden.

Wenn überhaupt. „Die Schiffe bringen offenbar so viele Netze aus, dass sie gar nicht in der Lage sind, den Fang auf einmal aufzunehmen und an Land zu bringen“, heißt es in einem Bericht der Projektgruppe „Deepnet“. Die hatte sich im vergangenen Jahr konstituiert, als es erste Hinweise auf die Praxis gab. Ergebnis der Untersuchung: Bis zu 70 Prozent der gefangenen Fische verrotten in den Tiefseenetzen.

Im vergangenen Monat hatten die „Deepnet“-Forscher die Meeresregion vor den britischen Inseln nach Netzen durchkämmt und dabei Exemplare an die Oberfläche gezogen, die offensichtlich acht Monate und mehr mitsamt ihrer Fracht herrenlos im Meer herumgetrieben waren. Wobei sich die Netze ständig neu füllen: Die verwesten Überreste der Tiere rutschen durch die Maschen und machen so Platz für Nachschub. Konservativen Schätzungen zufolge ist laut „Deepnet“ davon auszugehen, dass ständig Netze mit einer totalen Ausdehnung von 5.800 bis 8.700 Kilometern im Tiefenwasser herrenlos umhertreiben.

„Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge“, erklärt der deutsche EU-Fischereikommissar Peter Bradhering. Die EU-Kommission habe sich bereits mit der Problematik befasst. Die Frage nach dem Warum steht dennoch ungeklärt im Raum. „Es ist auch uns unbegreiflich, warum die Fischer die Netze aufgeben.“ Im Auftrag der britischen Regierung werden die Experten von „Deepnet“ in diesen Tagen zu einer zweiwöchigen Patrouillenfahrt auslaufen, um weitere stinkende Fakten zu sammeln.