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Inder warten auf ihr Bargeld

Währungsreform Die Regierung will die Korruption bekämpfen. Aber sie trifft die armen Leute besonders hart, während die Eliten ihr Geld auf Konten im Ausland schaffen

Aus Neu-Delhi Fabian Kretschmer

Kaum jemand ist derart vertraut mit den ungeschriebenen Gesetzen der indischen Korruption wie Josy Joseph. Seit fast zwei Jahrzehnten trifft sich der Investigativjournalist auf seinen Recherchen mit dubiosen Mittelsmännern, lässt sich von Konzernanwälten verklagen und schlägt „Schweigegelder“ in der Höhe von mehreren Jahresgehältern aus. Eigentlich sollte jemand wie Josy Joseph hoch erfreut sein von Premierminister Modis jüngstem Coup – der wohl radikalsten Währungsreform Indiens seit dessen Unabhängigkeit 1947.

Am 8. November verkündete Regierungschef Modi in einer überraschenden Fernsehansprache, dass sämtliche 500- und 1.000-Rupien-Noten über Nacht ihre Gültigkeit verlieren – insgesamt 86 Prozent des im Umlauf befindlichen Bargelds. Er begründete diese drastische Maßnahme damit, die grassierende Korruption einzudämmen und den Sumpf der Schattenwirtschaft trockenzulegen. 1.000 Rupien sind umgerechnet etwa 13,70 Euro.

Nur: Laut Kritikern hat Modi sein Ziel allerdings klar verfehlt. „Die großen Fische parken ihre Bestechungsgelder allesamt auf ausländischen Konten. Nur in den seltensten Fällen stoßen die Ermittler tatsächlich auf große Summen in Geldbündeln“, sagt Journalist Joseph. Der Nutzen der Bargeldentwertung stünde in keinem Verhältnis zu dem Preis, den das breite Volk zahlen würde. Am Montag kam es in mehreren Städten zu Protestdemonstrationen gegen die Währungsreform.

Kein Wunder: Noch heute, 20 Tage nach der Währungsreform, herrschen vor den Banken in weiten Teilen des Landes chaotische Ausnahmezustände. Trotz stundenlanger Wartezeiten vor den Geldhäusern versuchen weiterhin viele Inder, ihre alten Geldscheine umzutauschen. Bislang sind davon nur etwas mehr als 10 Prozent der 500- und 1.000-Rupien Noten bei den Banken angelangt.

Obwohl fast 98 Prozent aller Konsumentenzahlungen in Indien in Bargeld abgewickelt werden, sind noch immer rund die Hälfte aller 200.000 Geldautomaten nicht imstande, die neu auf den Markt gebrachten Rupienscheine auszugeben. Die Wartungsarbeiten könnten sich noch bis zum Frühjahr des nächsten Jahres hinziehen. Das einstige Versprechen Modis, die Bargeldengpässe würden nach ein paar Tagen wieder behoben sein, klingen heute geradezu nach blankem Hohn.

Eltern wissen nicht, wie sie Krankenhausrechnungen für ihre Kinder zahlen sollen

Fast täglich berichten die Tageszeitungen von Todesfällen infolge der Demonetarisierung: Eltern können die Krankenhausrechnungen für ihre schwerkranken Kinder nicht mehr begleichen; Ambulanzen weigern sich, die alten Banknoten als Zahlung zu akzeptieren. Ältere Menschen kollabieren unter der gleißenden Sonne beim stundenlangen Warten an den Bankschaltern.

Nun hat sich auch Modis Vorgänger, der renommierte Ökonom Manmohan Singh, in die Diskussion eingemischt: Auch wenn er die Ziele der Demonetarisierung grundsätzlich gutheiße, kritisiere er dessen katastrophale Umsetzung. „Sie fügt den einfachen Bürgern extremes Leid zu und wird das Wirtschaftswachstum um 2 Prozentpunkte nach unten ziehen“, sagte Singh.

Während die Währungsreform tatsächlich die heimische Schattenwirtschaft angreift, bleibt der Großteil des Schwarzgeldes auf Auslandskonten unangetastet. Laut dem Marktforschungsinstitut New World Wealth haben allein im Jahr 2015 über 4.000 indische Millionäre ihren Hauptwohnsitz ins Ausland verlagert, um ihr Vermögen am Fiskus vorbeizuschleusen. Damit landet Indien beim Abgang wohlhabender Privatpersonen weltweit auf dem vierten Platz. Große Teile der Gelder werden schließlich über Steueroasen wieder in die eigenen Firmen reinvestiert. Laut Regierungszahlen kamen zwischen den Jahren 2000 und 2011 über 40 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in Indien aus Mauritius.

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