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Leiser Traum vom Spitzenverein

Fußball Hertha profitiert vom Umbruch in der Ersten Bundesliga, spielt in der Hinrunde ganz oben mit und oft brillant. Kurz vor der Winterpause zeigen die Blau-Weißen aber noch einmal Rumpelfußball aus schlechten Zeiten. Es soll ihnen eine Warnung sein

Erst mal duschen: Herthas Mittelfeldspieler Per Skjelbred nach der Heimpleite Foto: Annegret Hilse/dpa

von Alina Schwermer

Hertha hat mal wieder überrascht. Da wurde die Mannschaft gerade wochenlang mit Lobeshymnen bedacht, gewissermaßen als sicherer neuer Champions-League-Kandidat gehandelt, und dann folgte am Samstag das Spiel gegen Bremen, das wieder ein paar Dinge auf den Kopf stellte. Neunzig Minuten brachte die Mannschaft gegen die abstiegsbedrohten Bremer nichts zustande, spielte ideenlos, öde und schlecht. Mit Glück blieb es bei einer 0:1-Heimpleite; Bremen war klar die bessere Mannschaft. „Der Ausgang war verdient“, resümierte auch Trainer Pál Dárdai. „Wenn du so spielst und keine einzige klare Torchance kreierst, hast du verdient verloren.“

Es war eine Momentaufnahme, ein kleines Puzzlestück in einer über weite Strecken großartigen Hinrunde. Und trotzdem die warnende Erinnerung an die Ambivalenz, die in dieser Mannschaft steckt: Hertha kann brillant, kann aber auch den Rückfall in den Rumpelfußball. Dárdais Truppe hat sich bemerkenswert stabilisiert, doch es bleibt ein Rest von dieser grauen Maus, die dann am leichtfüßigsten aufspielt, wenn ihr das Scheitern angekündigt wird, und dann strauchelt, wenn die Favoritenrolle drückt. Unter den kleinen Vereinen ist Hertha mittlerweile ein großer. So wie seit Jahrzehnten nicht haben Außenseiter ihren Platz im oberen Tabellenfeld reklamiert. Jeder kann jeden schlagen in dieser Saison, und Hertha konnte fast jeden schlagen. Nur drei Niederlagen, bester Saisonstart der Vereinsgeschichte, Platz drei. Schon gelten die Berliner gern als Favorit: Hertha erzählt eine steile Aufstiegsgeschichte vom Ligaproletariat in die obere Mittelschicht.

Damit dürften sich die Berliner auch selbst überrascht haben. Nach dem Ende der letzten Saison, als Hertha in so herthahafter Manier alles in letzter Sekunde verspielte – die Champions League, die Euro League, das Pokalfinale, am Ende gar die Euro-League-Quali –, schien der große Höhenflug zu Ende. Stürmer Alexander Esswein gestand kürzlich in einem Interview, die Stimmung zu Saisonbeginn sei schlecht gewesen, die Spieler vom eigenen Leistungseinbruch deprimiert.

Größter Star: der Trainer

Wer hätte den Berlinern zugetraut, in dieser Weise zurückzukommen? Pál Dárdai natürlich. In der Vorsaison hatte er die Mannschaft spielerisch stabilisiert; in dieser Saison stabilisierte er sie mental. Fast leierkastenhaft wiederholten seine Spieler in letzter Zeit, wie ihr Selbstbewusstsein durch das Scheitern gewachsen sei. „Wir sind erwachsen geworden“, sagt Dárdai.

Zuletzt schaffte es Hertha bemerkenswert oft, Rückstände zu drehen. Die Mannschaft wirkt tatsächlich reifer. Der Verein will mit der Entwicklung Schritt halten. Mittlerweile sprechen sie offensiv davon, um die internationalen Plätze spielen zu wollen; nebenbei, und das war fast die größere Nachricht in dieser Hinrunde, soll es nach langem Hickhack-Kurs wohl ernst werden mit einem neuen Stadion. Es ist der alte, neue Traum von Hertha als Spitzenverein, der in der Vergangenheit so oft im Größenwahn endete und nun etwas leiser umgesetzt werden soll. Aber nur eine Spur leiser.

In Pál Dárdai, so scheint es, haben sie den Mann gefunden, um eine Mannschaft nach diesem Vorbild zu formen: selbstbewusst, aber mit der gewissen bescheidenen Bodenständigkeit; einer, der die großen Träume des Clubs kennt und hin und wieder mit frechen Äußerungen befriedigt, aber zugleich Realist genug ist, um die Ziele kleinzuhalten. „Wir wollen bis zur Winterpause noch drei bis vier Punkte holen“, sagte er nach dem Bremen-Spiel. Eine bescheidene Maßgabe.

„Ich will keinen unnötigen Druck aufbauen“, so Dárdai. „Es sind gute Jungs.“ Sein Team hat nicht mehr viel gemeinsam mit der schillernden Hertha der 2000er Jahre und seinen exzentrischen Charakteren, die für Schlagzeilen und Genialität sorgten, sich aber auch oft selbst im Weg standen. Die aktuelle Mannschaft ist unauffällig, höflich und integer, ihr größter Star der Trainer. Auch das eine Sache, die Hertha mit vielen Teams aus dem neuen Mittelstand der Liga verbindet, mit Hoffenheim, Frankfurt, Köln, in gewissem Sinne sogar Leipzig. Konzepte siegen über teure Kader: Die Erkenntnis der Hinrunde ist zugleich die Aufstiegsgeschichte von Hertha BSC.

Und ihr größtes Risiko. Denn in einem Verein, dessen großes Kapital die Idee ist, kann es auch schnell wieder nach unten gehen. So geschehen zuletzt mit Gladbach und Augsburg, den viel gelobten Fleißbienen mit den tollen Konzepten, die oben etabliert schienen und dann hart im Tabellenkeller landeten. Hertha ist gewarnt. „Akzeptieren, runterschlucken, weitermachen“, nannte Dárdai als Konsequenz aus der Heimpleite gegen Bremen. Die erfolgreiche Hinrunde ist den Berlinern sicher; Die große Frage bleibt die Konstanz in der Rückrunde.

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