Der Blick des Sammlers

Alte Bekannte Die Hamburger Kunsthalle fährt alles auf, was im Surrealismus Rang und Namen hat. Auch für Fans neu sind manche Sammler-Geschichten dahinter

Unmögliche Spiegelungen: René Magrittes „La reproduction interdite“ von 1937 Foto: Abb.: Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Von Hajo Schiff

Was ist bei Kunst attraktiver, die großen Namen, das Thema oder die Inszenierung? Im besten Fall wird alles drei geboten, wie bei der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle. Schon der Titel lockt mit Salvador Dalí, Max Ernst, Joan Miró und René Ma­gritte, den vier bekanntesten Namen des Surrealismus – und der ist sowieso populär.

Zudem hat die Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers einen speziellen Zugang zu dieser vielleicht wichtigsten Kunsterfindung des 20. Jahrhunderts gefunden. Das ist nicht nur inhaltlich gemeint: Im Keller kann man wie durch ein Fenster einen der zentralen Säle zwar sehen, aber nicht betreten: Einer so stark von Bildern aus verborgenen Regionen der Psyche geprägten Kunst sollte man sich nicht zu unmittelbar nähern.

So zitiert die Inszenierung eine Methode der Surrealisten: Das Begehren wecken und einen Schlüsselloch-Blick auf wunderbare Geheimnisse vorführen. Eine solche Distanzierung erinnert auch daran, dass der heute oft nur noch gefällige Stil, disparate Bildmotive zu kombinieren, einst eine revolutionär neue Bildsprache war, sich sogar als psychologische Forschung mit politischem Anspruch verstand.

Der Zugang zu den etwa 200 Exponaten ist also ein ­schmaler Seiteneingang. Und diese Hintertür in die Welt gemalter Visionen führt nicht gleich zu den Meisterwerken, sondern erst einmal zu vier bedeutenden Sammlern. Es soll also durch den Filter der Sammler-Obsession geguckt werden; ihnen sind die Exponate mit Farbcodes zugeordnet.

Sammler als Sinnstifter

Aber sind denn Sammler so wichtig? Es bedarf sicher Einzelner, die junge Künstler ermutigen und finanzieren, die Kontakte knüpfen und den Markt öffnen. Darüber hinaus stiftet eine Privatsammlung, anders als die sich objektiv gebärdende Kunstgeschichte, einen speziellen Zusammenhang. So legt sich über die Werke eine mit der Kunst realisierte individuelle Erzählung, die eigenes Interesse beanspruchen kann.

Faszinierend ist der anglo-amerikanische Multimillionär und Mäzen, Dichter, Verleger und Architekturkünstler Edward James (1907–1984). Er hatte 1937/38 mit Dalí einen Exklusivvertrag über dessen Jahresproduktion, 1939 realisierte er mit ihm den „Dream-of-Venus-Pavillon“ für die Weltausstellung in New York. Er vergab Aufträge für Objekte wie das „Hummertelefon“ und das „Mae-West-Lippen-Sofa“ und orderte bei Ma­gritte drei große Bilder für einen Ballsaal: Surrealismus als dekorative Elemente.

Aristokratischer Spleen

Zwar regte James auch an, im Sinne der mehrheitlich kommunistisch gesinnten Pariser Surrealisten Geld zu sammeln, um den spanischen Republikanern Flugzeuge zu kaufen, doch im Grunde ähnelte sein Einsatz für die surrealistische Kunst einem traditionellen, sehr englischen, aristokratischen Spleen. Dabei verstand er sich nicht eigentlich als Sammler, sondern eher als Beteiligter der Bewegung: Zwanzig Jahre lang baute er an seiner eigenen surrealistischen Architekturphantasie Las Pozas im Dschungel von Xilitla in Mexiko. Seine Sammlung befindet sich heute in einer eigenen Stiftung und im Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam.

Ein anderer Zeitgenosse und Freund der Bewegung war der Künstler und Kunsthändler Roland Penrose (1900–1984). Als junger Maler in Paris mit den Kollegen befreundet, ermöglichte ihm eine Erbschaft, ganze Sammlungen zu kaufen, so 1938 vom surrealistischen Dichter Paul Éluard unter anderem sechs Chiricos, zehn Picassos, 40 Max Ernsts und acht Mirós. Er organisierte die erste große internationale Surrealisten-Ausstellung in London, gründete später das bis heute bestehende Institute of Comtemporary Arts, kuratierte Ausstellungen und schrieb Kunstbücher. Einige der 200 Archivalien belegen mit Preislisten und Notizen zur erwarteten Preissteigerung, wie schon damals der Kunstmarkt angeheizt wurde. Die Penrose-Sammlung ist heute teils in der Schottischen Nationalgalerie vererbt, teils weltweit verstreut.

Ebenfalls nach Schottland ging das Erbe des Golfprofis Gabrielle Keiller (1908–1995). Sie sammelte erst seit den 60er-Jahren eher kleinere Formate und stellte eine exquisite Bibliothek surrealistischer Schriften zusammen. Ebenfalls im Rückblick baut das Berliner Ehepaar Ulla und Heiner Pietsch seit knapp 50 Jahren seine repräsentative Großsammlung auf.

Die Kooperation mit Schottland und Rotterdam macht Hamburg für kurze Zeit zu einem zentralen Pilgerort des Surrealismus mit wunderbaren Werken: Dalís Schlachtszenen, die auch als Frauenkopf gesehen werden können, Magrittes unmögliche Spiegelungen und sprachlich kaum auflösbare Kombinationen, die biomorphen Gestalten von Max Ernst, die schlafwandelnden Frauen von Dorothea Tanning, Leonor Fini und Paul Delvaux, die Doppelbilder von Picabia, die Collagenbilder von Picasso, die intimen Objekte von Duchamp und die unendlich fremden Landschaften von Yves Tanguy.

Davon wird wenigstens der vorzügliche Katalog bleiben. Und vielleicht die Erkenntnis, dass der Surrealismus heute überall ist. Der aktuelle Strom des Unbewussten manifestiert sich allerdings eher in den elektronischen Medien. Als Geister im Realen tauchen Pokémons in der täglichen Umwelt auf und in wunderbarer medialer Gleichzeitigkeit und in postfaktischem Wahn scheinen die Simulationen inzwischen gar über die Realität zu triumphieren.

„Dalí, Ernst, Miro, Magritte … – Surreale Begegnungen“, Hamburger Kunsthalle, bis 22. Januar 2017