heute in Bremen
: „Eine humanitäre Krise“

Vortrag Die Konfliktforscherin Katja Mielke trägt vor, warum so wenig gut ist in Afghanistan

Katja Mielke

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ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Konfliktforschungsinstitut BICC in Bonn.

taz: Frau Mielke, seit wann ist in Afghanistan Krieg?

Katja Mielke: Der Kriegszustand herrscht seit den späten 70er-Jahren. Spätestens seit dem Einmarsch sowjetischer Truppen Weihnachten 1979 herrscht dort ein volatiler Gewaltkonflikt. Nach 2001, als alle dachten, es würde sich nach dem Sieg über die Taliban Frieden einstellen, hat die Nachkriegsjustiz versagt. Es gab keine Verfolgung der Kriegsverbrechen, weder auf Sieger- noch Verliererseite. Danach kehrten die Taliban ab 2006 massiv zurück.

Warum dauert der Krieg dort so lange?

Viele Leute ziehen aus dem Krieg einen Nutzen, aber es wurden auch Fehler gemacht. Heute versucht die Regierung wieder Friedensgespräche mit den Taliban, nachdem man 2001 bei der Afghanistankonferenz versäumt hatte, die „Verliererpartei“ auch mit einzuladen. Man war der Meinung, dass man sie los sei und mit den übrigen Parteien einen neuen demokratischen Staat gründen konnte, beachtete aber nicht, dass die Taliban von einem nicht zu unterschätzenden Teil der Bevölkerung auf lokaler Ebene als regierende Akteure und Schutzpatrone akzeptiert wurden.

Wer profitiert von dem Konflikt?

Auf der Alltagsebene lokale bewaffnete Gruppen, die sich über die Zugehörigkeit zu „den Taliban“ definieren. Denen geht es darum, über das größte Abschreckungspotenzial Macht auszuüben und darüber Ressourcen zu generieren. Nicht alle Leute sind ideologische oder Hardcore-Taliban, sondern bekommen es hin, sich durch die Zuschreibung zu den Taliban vor Ort zu profilieren. Und dann gibt es auch geopolitische Profiteure: Nach Meinung vieler Beobachter unterstützen Russland und Iran die Taliban, um den IS zu schwächen und die Ausbreitung der wahhabitisch-salafistischen Einflüsse nach Zentralasien und in den Iran zu unterbinden. Auch deswegen sind die Taliban in den letzten 18 Monaten sehr stark geworden – obwohl viele nach der Bekanntgabe des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im letzten Jahr vom Gegenteil ausgingen.

Ist Afghanistan aus Ihrer Sicht ein sicheres Herkunftsland?

Nein. Seit 2009 gibt es einen deutlichen Anstieg der politischen Gewalt mit vielen Opfern in immer mehr Teilen des Landes. Es herrscht eine komplexe Unsicherheitslage. Afghanistan hat neben dem Gewaltkonflikt 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge und etwa 600.000 Rückkehrer allein aus Pakistan in diesem Jahr zu bewältigen. Neben der politischen und wirtschaftlichen Krise und der gegebenen Unsicherheit steuert Afghanistan jetzt auch auf eine humanitäre Krise zu.

Interview: gjo

19 Uhr, Überseemuseum