: Kapitalismus im Winter
Kunst Tobias Heine hat den Karin-Hollweg-Preis gewonnen. Die damit verbundene Ausstellung ist nun im Künstlerhaus zu sehen
von Radek Krolczyk
Winter ist die Jahreszeit der Langeweile und des Wartens. Eine Zeit des Rückzugs und der Leere. In eben genau diese Zeit fällt „Muster“, eine Ausstellung des Bremer Künstlers Tobias Heine in der Galerie des Künstlerhauses, und genau: Rückzug, Leere und Langeweile sind Themen seiner künstlerischen Arbeit. Möglicherweise aber kann man die eingangs gefasste Behauptung sogar universeller fassen – wodurch sie politisch würde: Sind Rückzug, Leere, Langeweile nicht prägende Attribute einer scheinbar ausweglosen Situation, in der keine Alternative mehr realistisch scheint, in der kein Außerhalb denkbar ist, die keine Zukunft kennt? Die hier gezeichnete Lage wirkt dabei so misslich und dabei auch so schrecklich negativ.
Der Vergleich mit dem Winter behauptet unsere Zeit als eine, die es verdient, unbedingt überwunden zu werden – was selbstredend der Fall ist. Blickt man hingegen auf das Werk dieses jungen Künstlers, sind Leere und Langeweile dort auch vollkommen anders denkbar. Im Sinne einer Klassik etwa, als eine Gegenwart, die keine Alternative, kein Außen und keine Zukunft benötigt, weil sie sich selbst genügen kann – was in Bezug auf den Spätkapitalismus, in dem wir leben, nun doch vermessen wäre zu behaupten. Hier würden dann nahezu unmerklich Formen und Themen variiert. In Heines Werk findet man vor allem Variationen der Themen und Formen des Alltags.
Den 1984 in Magdeburg geboren Tobias Heine beschäftigt in die Länge gezogene Zeit schon länger. Vor knapp drei Jahren fiel er auf den Bremer Hochschultagen als Student der Klasse für Malerei mit einem Video auf, in dem nichts weiter zu sehen war als ein Glas, in das langsam Wasser gegossen wird. Die Arbeit wurde damals sogar für eine private Sammlung angekauft.
In der Weserburg zeigte er im Sommer 2015 im Rahmen der jährlichen Meisterschülerausstellung seine Installation „Warteraum II“. Insgesamt fünf leere Stühle standen über Eck in Heines Raum, schwarze Holzflächen zum Sitzen und Lehne an einem Gestell aus filigranem, verchromten Stahl; dazwischen eine dickblättrige Büropflanze. An einem Haken an der Wand hingen wie zum Trocknen übereinander ebenfalls fünf verschiedenfarbige Handtücher. Gegenüber wurde auf einem Screen ein Video gezeigt: Über viele Minuten ruht ein Händepaar auf einem Tisch, dann beginnt es, einen Espresso zuzubereiten.
Mit diesen Arbeiten gewann Heine den jährlich an die Bremer Meisterschüler vergebenen Karin-Hollweg-Preis. Neben einem Preisgeld von 15.000 Euro beinhaltet der Preis eben auch eine institutionelle Einzelausstellung, die nun zu sehen ist.
Die Ausstellungsorte der Gewinner rotieren über die Jahre und Heine ist nun mit seinen neuen Arbeiten im Künstlerhaus gelandet. Wirklich verändert hat er weder sein Interesse noch seine Arbeitsweise seit der Schau in der Weserburg. In der Mitte der fast leeren Halle hat er Parkbänke geschichtet. Die Bänke sind in keiner Weise besonders. Sie sind eigentlich sogar recht billig, rein aus Kunststoff, ganz ohne Holz oder Metall. Die Wartemöbel scheinen selbst auf etwas zu warten. Vielleicht auf den Frühling, oder darauf, gekauft zu werden. Möglicherweise warten sie aber auch einfach auf nichts und ihre Lagerposition ist bereits ihre höchste Daseinsform.
Wenn man diese grünglänzenden Bänke länger betrachtet, so ganz isoliert von jeglicher praktischer Bestimmung, enthoben der Sphäre der Nutzung und Vernutzung, bekommen sie auch gleich etwas Erhabenes. Drei Screens zeigen eine Abfolge unterschiedlicher Gegenstände. Eine Hand legt sie nacheinander ins Bild und nimmt sie wieder weg: ein Blumentopf, eine Porzellanschale, eine Tasse, eine leere blaue Erdbeerschale aus Kunststoff, ein Gummiband. Es wirkt wie eine Bestandsaufnahme. Welche Gegenstände bevölkern unsere Welt? Was hat sie uns zu bieten? Was liegt uns vor? All diese ganz alltäglichen, seriell hergestellten Gegenstände erscheinen in dieser entkontextualisierten Darstellung nicht nur ein wenig fremd, sondern zugleich auch besonders und schön.
Die Art der Leere und der Langeweile, die in den Werken von Tobias Heine zur Geltung kommt, ist also nicht negativ konnotiert, weder trostlos noch traurig. Vielmehr ist sie auf eine leicht humorvolle Art ätherisch. Die Zeichnungen von Tobias Heine und anderen sind seit dem 9. Dezember als Jahresgaben zugunsten der Arbeit des Künstlerhauses zu erwerben.
Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Januar im Künstlerhaus zu sehen
Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘
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