: Vom Heben, Senken und Halten
Stadtwandel Kritik an der Veränderung, Spaß an den Maschinen: „Ostkreuzzüge“ von Detlef Scheffen
„Ostkreuzzüge“, das hört sich nach sattsam bekannten Club-Cruising-Erlebnissen an. Der Autor Detlef Scheffen wohnt aber nur ganz friedlich in Friedrichshain, er ist angeblich Lehrer und hat drei Kinder. Sein Buch erzählt aus der Zeit, als sich seine nähere und weitere Umgebung plötzlich in eine Baustelle verwandelte.
Schon auf dem Cover seines Buchs sieht man Waggons der schwäbischen Firma „Schauffele“. Sie transportieren die zu Bauschutt zerschredderten DDR-Gebäude ab.
Der Presse entnimmt Scheffen Namen der politisch Verantwortlichen: Der Investoren ins Baugeschäft bringende Walter Momper, der Bausenator Nagel, der Staatssekretär für Stadtentwicklung Wolfgang Branoner. Letzterer mit Foto: Branoner zwischen zwei lachenden und bepelzten Frauen, die halb so alt sind wie er, vor einem Flugzeug. Das schneidet sich der Autor aus.
Er selbst geht das Wirken und Wüten – den Abriss der Markthalle, den Aufbau der Treptowers, die Umwandlung der Stralauer Halbinsel in ein Steuerparadies – „zoologisch“ an. Das sieht dann so aus, dass er die Technik, die auf der Boxhagener Straße zum Einsatz kommt, auf sich wirken lässt: die Wasserpumpe, der Verdampfer, der Wasserdampfgenerator. Die Lkws mit den Vornamensschildern der Fahrer an der Frontscheibe. Die Namen der Abrissbagger. Von einem Ingenieur der Firma Bilfinger + Berger lässt er sich eine Großbaustelle zeigen, Armierungsgewebe, Bewehrungsstahlmatten, spürt die Spannung.
Zur Abwechslung geht er in den alten Zoo, wo ihn die Geschichte der dort geborenen Gorillas interessiert. Ein Foto, das zeigt, wie der Chefpräparator des Naturkundemuseums mit der Spritzpistole letzte Hand an das Gorillamännchen „Bobby“ legt, bewahrt er auf. In der Rummelsburger Bucht, am Verladekran für die Schiffe, fragt er sich, wie das ist, entladen zu werden: als eine Art „Presscontainer gehoben durch den Heber, gesenkt durch den Senker, gehalten durch den Halter, gefahren durch den Fahrer ...“ Statt eines Resümees schimpft der Autor noch einmal auf Momper, Nagel und Branoner.
Es ist ein politisches Buch, verlegt im ostauthentisch gebliebenen Prenzlauer Berg Dichter-Verlag „Basisdruck“. Dabei geht es nicht um die Namen und Bezeichnungen, es könnten auch andere sein, es geht darum, den Dingen – wie den Tieren und Menschen – ein Verhalten zuzugestehen, das sich dem Autor in diesem konkreten Fall – Friedrichshain 1995/96 – geradezu aufdrängte. Helmut Höge
Detlef Scheffen:„Ostkreuzzüge. Leben und Bauen rund ums Ostkreuz in den 90ern“. Basisdruck 2016, 14 Euro
Lesung im Watt, Metzer Straße 9 (ehemalige Rumbalotte,) am 26. 11. ab 20.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen