: Skulpturen und Bilder singen
Retrospektive Die Kunsthalle Mannheim stellt den Bildhauer Fritz Schwegler als Zeichner, Performer und Dichter vor
Er kratzte sich in den 70er Jahren schon mal vor Publikum mit einer Hantel am Ohr, mit herabgelassenen Hosen, scheinbar noch im Nachthemd. Oder aber er gab einer Gruppe detaillierte Anweisungen zum Umarmen von Buchen in einem Buchenwäldchen. Einer seiner „Satzgegenstände“ lautet: „Es gibt eine neue Sprache, die heißt Baum.“ Das Werk des Bildhauers Fritz Schwegler hat viele Facetten, deren verbindendes Element jedoch war immer sein durchweg einfallsreiches Spiel mit der Sprache.
So wenig der Außenseiter als Künstler bis heute zu fassen ist, so bestimmt agierte er als Professor der Kunstakademie Düsseldorf, der eine ganze Generation von Studenten wie Thomas Schütte und Gregor Schneider aufs richtige Gleis brachte. Sein eigenes Werk blieb dabei im Hintergrund. Die Kunsthalle Mannheim zeigt nun die erste große Retrospektive des zwischen Wort und Bild pendelnden Künstlers. Zu sehen sind mehr als 500 Exponate, die in einer Abfolge von acht Räumen als Requisiten einer großen Erzählung inszeniert sind, stets untermalt von der markanten Schwegler-Stimme.
Denn ohne seine Person vor Augen oder seine Stimme im Ohr bleibt dieses streng systematisch aufgebaute Werk erstaunlich blass. Seine an FIMO-Knetwerk erinnernden „Notwandlungsstücke“ aus den 1990er Jahren etwa, ein Milchkännchen mit drei Ausgüssen oder ein weißes Schaf mit beiden Vorderläufen in einem schwarzen Stiefel, sind von absurder Komik und verweisen auf den Bereich außerhalb des Künstlerischen. Aber sind sie mehr als ein Gag?
Schwegler war sich seines eigenen Werks so sicher, dass es ihm gelang, Alfred Schmela mit der Aussage für sich zu gewinnen, er könnte seine Skulpturen auch singen. Prompt lud ihn der Düsseldorfer Avantgarde-Galerist 1971 zu einer Einzelausstellung ein. Der aus Süddeutschland stammende Künstler hatte sich gegen Ende der 1960er Jahre auf Handlungsanleitungen und performative Auftritte verlegt, weil er weder Geld noch Raum für weitere Skulpturen hatte. Nach ausgedehnten Reisen fand er letztendlich in Düsseldorf ein Forum für seine Bilderlese-Darstellungen, seine Moritafel- und Jubel-Rollen-Aktionen, von denen einige in Mannheim als Videoaufnahmen lebensgroß projiziert werden.
Wie Joseph Beuys wollte Schwegler in die Gesellschaft wirken, erdachte „Stücke zum Glücke für jedermann“. Sie blieben jedoch Stücke zum Glücke einiger weniger, aber wer weiß, vielleicht kommt noch die richtige Zeit für das Werk des dichtenden Schreiners aus dem Schuttwald.
Schwegler wurde 1935 in Breech bei Göppingen geborenen, absolvierte eine Schreinerlehre, bereiste als Wandergeselle Europa, Kleinasien und Afrika und legte 1959 in Stuttgart seine Meisterprüfung ab. Zu Beginn der 60er Jahre begann er sein Kunststudium an der Stuttgarter Akademie, das er 1963 in London beendete. Schon da notierte er seine Ideen und legte sie nummeriert ab. Auf diese Weise entstanden seine „Ur-Notizen“, immer 100 Stück mit Effesch-Nummern in einem Ordner, am Ende über Zehntausend Zeichnungen. Effesch, Effeschiaden, das klingt nach Orient, ist aber ganz einfach nur lautmalerisch die Abkürzung von Fritz Schwegler, FSCH.
Abulenzen und Souveräne
In manchen seiner Schrift-Aquarelle oder Schrift-Reliefs, seiner A-Leisten oder Abulenzen, Souveräne oder „Notwandlungen mit Stücken“ blitzen kleine Hinweise für den von den Wortwandlungen eingelullten Betrachter auf. „Wenn ich zuschlage, schlage ich in der Mitte des Verstandes, auf halben Weg zu“, oder: „Die Absicht hatte nichts zu tun mit dem, was sie fanden“, steht da unvermittelt neben emblemhaften Figurenmalereien zu lesen. Solche Sätze klingen wie Ratschläge für Kunstschaffende, sind aber auch an das Publikum gerichtet.
Barbara Klemm hat den Professor 2001 in seinem Heimatort fotografiert, wo Schwegler sich im Transformatorenwerk von Breech und im Schlossturm von Rechberghausen seine eigene Welt, sein „unbewegliches Theater“ geschaffen hat: Archiv und Atelier, Bibliothek und Sammlungshaus. Das Land Effsch? Die Fotosequenz ist als eigenes Heft dem Katalog beigegeben, der auch ein lesenswertes langes Interview mit dem Künstler aus dem Jahre 1997 enthält. Heinz-Norbert Jocks entlockte Schwegler Aussagen wie: „Jedes Tun ist eine Annäherung an das Aufleuchten des Geistigen.“ Letzteres sei für ihn aber nur eine Metapher.
Der Meister aus Breech spricht über Zen und über Friedrich Nietzsche, Meister Eckhart, Samuel Beckett und Robert Walser. Auch Peter Handke hat er geschätzt. Der habe geschrieben, so Schwegler, dass der entschwundene Einfall nur über die Form zurückgeholt werden könne, für den Künstler offenbar eine Bestätigung dafür, dass es den Dichter Schwegler nicht ohne seine bildhauerische Arbeit gegeben hätte und umgekehrt.
Eine Zeichnung mit dem Titel „Erleuchtete Säge“ zeigt, wie Schwegler humorvoll Funken aus den alltäglichen Dingen zu schlagen wusste, die für ihn auf direkte wie geheimnisvolle Weise mit dem ganzen Kosmos, den Grundwahrheiten des Lebens zusammenhingen. Der Künstler ließ sich auf keine Begriffe festnageln, auf keine Theorie und kein Verfahren. „Entweder sehe ich Bilder oder ich höre Texte“, wiegelte er Fragen nach dem Verhältnis von Bild und Schrift ab. Schwegler, der in Mannheim als Geheimtipp vermarktet wird, rangiert fraglos jenseits solcher Kategorien, er war ein großer Anreger, dessen persönliche Ausstrahlung sein einzigartiges Werk noch posthum erfüllt.
Bis 8. Januar, Kunsthalle Mannheim, Katalog (Hatje Cantz) 28 Euro bzw. 39,80 Euro
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