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Allein mit 110 anderen

Unterkunft I Nach über einem Jahr zusammengepferchtem Leben in einer Turnhalle demonstrieren Bewohner für menschenwürdiges Wohnen. Sozialverwaltung spricht dagegen von einer „erholten Atmosphäre“

„Seit dreizehn Monaten im Lager“: Flüchtlinge demonstrierten am Donnerstag in der Osloer Straße Foto: Christian Mang

von Uta Schleiermacher

Ein Jahr ist zu viel. Rund 70 Flüchtlinge und UnterstützerInnen haben sich Ende der Woche vor der Notunterkunft in der Osloer Straße im Wedding versammelt, um gegen die Lebensbedingungen in der Turnhalle und für eine menschenwürdige Unterbringung zu demonstrieren. Die meisten leben seit über einem Jahr hier. Die Halle hat keine Fenster, nur Oberlichter in der Decke. Mit Tüchern über den Betten versuchen die BewohnerInnen, wenigstens ein bisschen Privatsphäre herzustellen. „Die Halle ist schmutzig, und wir wollen uns endlich selbst Essen kochen“, sagt eine Frau aus Iran.

Ihre dreijährige Tochter habe mehrmals Blut gespuckt, nachts wache sie oft mit Atemproblemen auf, erzählt die Bewohnerin. „Meine Kinder finden keine Ruhe, um richtig gesund zu werden.“ Über mangelnde Ruhe beschwert sich auch ein elfjähriger Junge. „Ich kann mein Hausaufgaben nicht mit 200 Leuten machen“ steht auf einem Plakat, das er in die Luft reckt.

Letztes Jahr am 12. November wurde die Turnhalle belegt, 111 Menschen leben derzeit in der Unterkunft. Sie fordern, das Lager zu schließen. Viele Menschen hätten wegen der Zustände dort inzwischen gesundheitliche und psychische Probleme. Ihr Protest richtet sich darüber hinaus gegen die Betreuer in der Unterkunft und den Träger, die BTB Bildungszentrum GmbH. „Wir wollen respektvoll und wie Menschen behandelt werden“, sagt ein Bewohner, „nicht wie Ware, mit der die Betreiber Profit machen.“

Kein Einzelfall

In 38 Turnhallen leben derzeit noch rund 3.300 Flüchtlinge. Wann sie in die Containerdörfer umziehen können, die eigentlich längst fertiggestellt sein sollten, ist nicht absehbar.

Die Bewohner aus der Osloer Straße sollen in Tempohomes in der Hohenschönhauser Straße in Lichtenberg umziehen. In Mitte wird es keine Tempohomes geben, da kein geeigneter Standort gefunden wurde.

Bezogen sind bislang Container im Altglienecker Quittenweg. In der Zossener Straße in Hellersdorf soll nach Baumängeln schon wieder geräumt werden (siehe Text rechts). Fertig sind zudem die Wollenberger Straße in Hohenschönhausen und die Siverstorpstraße in Pankow. Bis Jahresende sollen acht weitere Standorte fertig sein. Allerdings gibt es Probleme bei der Ausschreibung für Betreiber. (usch)

Dauer- statt Notlösung

Der bisherige Leiter, der sich sehr für ihre Rechte eingesetzt habe, sei vor ein paar Wochen freigestellt worden, der neue Leiter käme jeden Tag mit neuen Regeln und Restriktionen. „Er hat uns gedroht, dass wir nach Tempelhof müssen, wenn wir protestieren“, so der Bewohner. Inzwischen dürften keine Besucher mehr die Halle betreten, sie bekämen keine Unterstützung bei Fragen zu ihrem Aufenthaltsstatus.

Die BewohnerInnen sind auch beunruhigt über die Bezeichnung ihrer Unterkunft als „Wohnheim“. So steht es im Briefkopf einer Kostenübernahme vom Lageso vom Juni. „Vorher stand dort Notunterkunft“, sagt eine Frau und hält zum Vergleich einen Brief vom Januar daneben. „Wir haben den Eindruck, dass sie die Turnhalle jetzt Wohnheim nennen, damit sie länger betrieben werden kann.“ Die zuständige Sozialverwaltung widerspricht dieser Annahme. Die Turnhalle werde bei ihnen als Notunterkunft geführt. „Wohnheim ist keine offizielle Bezeichnung“, teilte eine Sprecherin mit. Warum diese in offiziellen Briefen der Verwaltung auftauche, könne sie nicht erklären, rechtliche Auswirkungen habe es nicht.

Um sich bei den verantwortlichen Politikern Gehör zu verschaffen, hatten Bewohner der Osloer Straße und der Turnhalle in der Wiesenstraße am 17. November die BVV besucht. Fabian Koleckar (Linke) hatte zuvor in der Sitzung eine mündliche Anfrage zu den Zuständen in den Turnhallen gestellt. „Die Flüchtlingen konnten in der Pause ihr Anliegen vortragen“, berichtet Koleckar. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) habe daraufhin versprochen, der Sache nachzugehen. Er habe die Halle selbst besucht, um sich ein Bild zu machen, sagt Koleckar. „Ich habe den Eindruck, dass die Heimleitung nicht mit den Flüchtlingen kommuniziert, denn was die Flüchtlinge sagen und was die Heimleitung sagt, weicht stark voneinander ab.“ Bei einem zweiten Besuch habe die Heimleitung ihm den Zutritt verwehrt.

Inzwischen dürften keine Besucher mehr die Halle betreten, berichten Bewohner

Aufgrund der Beschwerden ließ die Sozialverwaltung am Dienstag eine unangemeldete Begehung durchführen. „Akuter Handlungsbedarf“ sei nicht festgestellt worden, erklärte eine Sprecherin. Allerdings habe es Hygienemängel im Sanitärbereich gegeben, die nun behoben werden sollen. „Es ist angemerkt worden, dass es keinen Hausaufgabenraum für die Kinder gibt. Die Heimleitung hat erklärt, dass dafür der Fernsehraum genutzt werden kann“, sagte sie. Abschließend lobte das Protokoll das „engagierte Personal“ und die „erholte Atmosphäre“ in der Unterkunft. Das Verhältnis von Sicherheitsdienst und Betreuungspersonal sei „harmonisch“. Ob bei der Begehung auch BewohnerInnen zu Wort kamen, konnte die Sprecherin nicht sagen.

Im Fernsehraum, einem drei mal vier Meter großen Zimmer direkt neben dem Eingangsbereich ohne Tageslicht, stapeln sich in einer Ecke Stühle, Sessel und Garderobenständer, in der anderen steht ein runder Tisch mit Bank und drei Stühlen – direkt neben dem Fernseher. Dass Kinder dort Hausaufgaben machen, hätte er noch nie gesehen, erklärte ein Bewohner auf Nachfrage der taz. Der vollgestellte Raum werde eher genutzt, um Telefone aufzuladen.

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