MICHAEL BRAUN ÜBER DIE HOCHGESCHWINDIGKEITSSTRECKE TURIN–LYON: Das Stuttgart 21 des Südens
Extrem teuer, völlig unsinnig, dazu noch schädlich – einfach die perfekten Voraussetzungen für ein Projekt. Das jedenfalls müssen sich Italiens Premier Mario Monti und der französische Präsident François Hollande gedacht haben, als sie ihren endgültigen Segen für den Bau der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin–Lyon gaben. Knapp 9 Milliarden Euro sollen allein für den 57 Kilometer langen Basistunnel in den Alpentälern beiderseits der Grenze versenkt werden.
Wenn Deutschland sich S 21 gönnt, so die offensichtliche Logik, können wir das genauso gut. Die ersten Planungen für die Strecke erfolgten vor gut 20 Jahren, mit Prognosen, die eine Verdoppelung des Güter- und Personenverkehrs zwischen Turin und Lyon vorhersagten. Stattdessen brach das Verkehrsaufkommen drastisch ein. Macht nichts, sagten sich die Planer und hielten stur an dem Projekt fest, für dessen Bedarf es keinen Beleg gibt.
Ausgerechnet in Zeiten, in denen beide Staaten an allem angeblich Überflüssigen und an so manchem Notwendigen sparen müssen, soll dieses Milliardenprojekt unverzichtbar sein für „das Wachstum Europas“ (Monti). In Italien wird das Vorhaben von einem breiten Konsens getragen. Alle Parteien sind dafür, ebenso die Banken und die großen Bauunternehmen (einschließlich der „roten“ Genossenschaften im Bausektor), die ein schönes Geschäft wittern.
Gegen das Hochgeschwindigkeitsprojekt entwickelte sich über die Jahre heftiger lokaler Widerstand. Doch auch er kann die Planer nicht von ihren Plänen abbringen. Im Gegenteil – es scheint, als werde die Idee jetzt auch durchgezogen, um den Protestierern eine Lektion zu erteilen: dass unsinnige, aber für die Profiteure einträgliche Projekte auf „kleinlichen Protest“ leider keine Rücksicht nehmen können.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 9
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen