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Den Mantel der Macht berühren

Theater In „Love it or leave it!“ erzählt der Regisseur Nurkan Erpulat im Maxim Gorki von der albtraumhaften Wiederholung der Geschichte, nicht bloß in der Türkei. Ein Stück zwischen Realsatire und gruseligem Märchen

von Katrin Bettina Müller

Die Bilder sind grotesk, komisch sogar, aber die Stimmung ist bitter. Einem Alptraum, aus dem man nicht mehr erwachen kann und dessen Bilder sich wiederholen, gleicht das Stück „Love it or leave it“, das der Regisseur Nurkan Erpulat zusammen mit dem Dramaturgen Tunçay Kulaoğlu für das Maxim Gorki Theater entwickelt hat.

Da hängt ein Strick mitten in dem Schlafzimmer, das Alissa Kolbusch als beklemmend sich verengenden Bühnenraum gebaut hat. Der Strick ist zu nachgiebig, um sich daran aufzuhängen, aber die junge Frau im roten Kostüm (Lea Draeger), die schon im ersten Bild die Schlinge um den Hals trägt, versucht es trotzdem.

Da qualmt es aus einer Grube im Fußboden, in der schon im stummen Prolog das Bett und die Bilder mehrerer Generationen türkischer Ministerpräsidenten, die darüber hängen, entsorgt werden, um dann doch wieder aufgebaut zu werden für Szene zwei. Bald sind es die Schauspieler selbst, die sich in diese Grube stürzen – wenn sie nicht, wie von einem Magneten angezogen, aus dem Fenster steigen und einem Tubabläser in Uniform folgen. Traurig klingen seine Signale, wie von einem Schiff, das untergeht.

Märchen werden so inszeniert, gruselige Märchen. Die Schauspieler agieren oft wie Puppen, gelenkt von unkon­trollierbaren Trieben. Die Augen starr auf ein Bündel Bananen gerichtet, klappt ihnen die Zunge aus dem Hals. Aber wer danach greift, bekommt einen Stromschlag. Oder sie verfallen dem Schwärmen, der Verehrung, folgen wie blöde einem duselig vor sich hin quatschenden Redner, wollen seinen Morgenrock berühren und seinen Hintern küssen.

Es ist ein absurdes Theater von blinder oder nicht nachvollziehbarer Gefolgschaft, das Nurkan Erpulat hier inszeniert. „Love it or leave it!“ ist kein Stück, das die Türkei erklärt, sondern sich verzweifelt dazu bekennt, dieses Volk nicht mehr verstehen zu können. Nurkan Erpulat und sein Team haben dafür in Istanbul recherchiert, nach Erfahrungen von Wiederholungen seit dem Militärputsch in den 1980er Jahren gefragt. Politiker-Bashing, Kritik an Erdoğan, deutlichere Anspielungen auf den täglichen Wahnsinn in der Türkei, auf Verhaftungswellen und Verbote ließ die Ankündigung des Stücks erwarten. Doch nun ist es viel weniger ein explizit politisches Theater als vielmehr eine Studie einer depressiven und selbstzerstörerischen Stimmung – deren Ausweglosigkeit durch eine hart karikierte Obrigkeitshörigkeit und Autoritätsgläubigkeit zementiert wird.

Ein politischer Führer und ein religiöser Berater treten auf. Der Politiker holpert sich (witzig gespielt ist das von Taner Sahintürk) durch ein Klittern von größenwahnsinnigen Floskeln und kleinkarierten Versprechungen: Es soll bald Tische und Stühle für alle geben und Fleisch, um der durch Proteinmangel verursachten „Dummheit“ abzuhelfen. Und keine Löcher mehr in der Wand. Der religiöse Berater, der von einer vierköpfigen Familie nach einem „Vorfall“ um Hilfe gebeten wurde, stelzt durch einen Wust schiefer und naturalistischer Bilder, um die patriarchale Ordnung als natur- und gottgegeben wieder einzufordern. Ein im Theater ausliegendes Glossar informiert darüber, dass der Stückautor Emre Akal bei diesen wirren Theorien durchaus reale Vorbilder hatte.

Realsatire ist auch eine Szene, in der ein Sohn, vom Vater am Telefon instruiert, Geld verschwinden lassen muss. Sie geht auf ein abgehörtes Telefongespräch zwischen Tayyip Erdoğan und seinem Sohn Bilal zurück. Mengen von Schuhschachteln fliegen dabei unter das Bett und werden wieder hervorgestoßen. Ein clowneskes Bild von der Wiederkehr alles Verdrängten und Versteckten.

Aber diese konkrete Verortung, für die auch ein Monolog, eine Rede an die Türkei vom Schriftsteller Küçük İskender steht, blitzt nur punktuell in der Inszenierung auf. Andere Szenen hingegen berühren gerade, weil sie übertragbar sind. Da ist einmal ein Paar zu sehen, sie Lehrerin, er in der Werbebranche, und beide leiden an dem, was sie als Inhalte propagieren müssen, und machen es trotzdem. Den Ausgleich und die verlorene Selbstachtung suchen sie dann in ihrer Zweisamkeit, wo man sich alles sagen kann. Bis sie aus dieser Konstruktion, dieser Lebenslüge aussteigen will. Der Strick kommt ins Spiel, mal wieder.

Wieder am 18. und 23. November

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