: Schönheit und Verzweiflung
FESTIVAL Unter dem Motto „Von Marokko bis Afghanistan“ zeigt das 1. Creole Filmmusik-Fest in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen Filme über die Musik des Maghreb, aber auch aus dem Libanon und dem Iran
von Laura Aha
Von Marokko bis Afghanistan braucht man mit dem Flugzeug 16 Stunden. Knapp 10.000 km liegen zwischen Marrakesch und Kabul. Auf dem Weg von Marokko nach Afghanistan überquert man theoretisch zehn Länder: von Algerien, Tunesien und Libyen über Ägypten nach Israel, Jordanien, den Libanon, Syrien, den Irak und den Iran. „Von Marokko bis Afghanistan“ ist auch das Thema des ersten Creole Musikfilm-Fests, das in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen stattfindet. Mit dem Schwerpunkt auf Maghreb und Westasien spannt der in Berlin lebende Kurator Hakim El-Hachoumi damit sowohl geografisch als auch kulturell einen weiten Bogen.
Im Diskursraum
„Musik ist ein Spiegel der Gesellschaft. Sie öffnet eine Tür zu politischen, kulturellen und sozialen Fragestellungen und Themen im Allgemeinen“, erklärt der in Casablanca geborene Regisseur und Filmkritiker. Als Antwort auf die zunehmende Migration, wolle er einen transkulturellen Erlebnis- und Diskursraum schaffen und anhand ausgewählter Filme die Geschichten hinter der Musik erzählen. Dass das Verständnis von Musik als universelle Sprache leider nicht überall auf der Welt so liberal ist wie hierzulande, verdeutlichen die Filme.
Die fiktive Dokumentation „No One Knows About Persian Cats“, die 2009 den Preis der Specialjury in Cannes gewann, erzählt die wahre Geschichte des iranischen Pärchens Ashkan Kooshan und Negar Shaghaghi nach. Nachdem sie wegen eines Auftritts mit ihrer Rockband Take It Easy Hospital drei Wochen in Haft waren, versuchen sie umso verbissener, eine Band zusammen zu stellen, um zu einem Gig nach London zu reisen. Da westliche Rock- und Popmusik seit der islamischen Revolution 1979 im Iran verboten ist, muss das Paar illegale Umwege nehmen, bei denen sie auf den etwas kuriosen Mittelsmann Nadar angewiesen sind.
Ihre zunehmende Verzweiflung transportiert Regisseur Bahman Ghobadi besonders in den Sequenzen zwischen den Dialogen. Schöne Landschaften, urbanes Leben in Teheran, auch Bilder der Armut werden mit Undergroundmusik unterlegt. Der iranische Rapper Hichkas bringt die Wut, für seinen Traum die Heimat verlassen zu müssen, auf den Punkt: „Wir sind auf diesen Straßen aufgewachsen: Was wir dafür zu sagen haben, ist für das Herz dieser Stadt.“ Dann prangert er mit dem Song Ekhtelaaf („Unterschied“) soziale Missstände an. Nach erscheinen des Films wurde er wegen angeblich kontroverser Aussagen ausgewiesen. Auch Ashkan und Negar mussten 2009 in Großbritannien Asyl beantragen, auch aufgrund des internationalen Filmerfolgs. Bis heute dürfen sie nicht nach Iran zurückkehren.
Hakim El-Hachoumi
Eine ähnliche Geschichte erzählt die vielfach preisgekrönte Dokumentation „No Land’s Song“ (2016). Regisseur Ayat Najafi folgt der iranischen Komponistin Sara Najafi, die entgegen des Auftrittsverbots von Frauen ein Konzert für Sängerinnen organisieren möchte. „Ein rechtschaffener Mann, der dasitzt und Musik hört, sollte keine sexuelle Erregung verspüren“, sagt ein Mullah. Auf ihre Frage, warum ein männlicher Sänger Frauen dann Herzklopfen verschaffen dürfe – verwirrtes Schweigen. Unzählige Behördengänge, irrationale Begründungen und Machtlosigkeit – „No Land’s Song“ führt, durchaus mit Galgenhumor, ein repressives System vor.
VielfältigeGeschichte
Dass in der Region „Von Marokko bis Afghanistan“ vielfältige Musikgeschichte geschrieben wurde, thematisiert das Creole Musikfilm-Fest: „Trances El Hal“ (1981), ein Konzertfilm, begleitet die marokkanische Band Nass El Ghiwane, die als die Rolling Stones Marokkos bezeichnet wurden und mit ihrem Mix aus marokkanischer und ritueller Gnawa-Musik auch die Entwicklung des modernen maghrebischen Raï-Sounds beeinflusst hat. „Dananir“ beschäftigt sich mit der Biografie der ägyptischen Sänger-Legende Oum Kalthoum. Und natürlich wird auch der Star der arabischen Musikwelt gewürdigt: Fairuz, die „Mutter der libanesischen Nation“. Im Film „We Loved Each Other So Much“ erzählen Fans unterschiedlichster Herkunft, wie es die Libanesin schaffte, Christen, Muslime, Kommunisten und rechte Extremisten durch ihre Musik gleichermaßen zu einen. In gewisser Weise kann dies auch als symbolisches Schlusswort des Creole Musikfilm-Fests gelesen werden.
Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32, bis Sonntag, 13.11.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen