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„Mit Hass baust du keinen Stamm auf“

Jazz Ein anderes Amerika zu Gast in Berlin: Das Robert Glasper Experiment und das Christian Scott Quintet spielten während der US-Wahlnacht im Yaam und stifteten im Saal einen temporären Zusammenhalt

von Franziska Buhre

Die Salven, die Schlagzeuger Mark Colenburg in der Band von Robert Glasper mit der Hi-Hat, Snare Drum und Basstrommel hinlegt, sind von einem anderen Stern. In Höchstgeschwindigkeit und trotzdem fein austariert, ist sein Anschlag sanfter als der von Corey Fonville im Christian Scott Quintet. Durch Colenburgs erfrischend ungerade Rhythmen zieht Glasper auf den Tasten Schleifen aus sphärischen Synthie-Riffs, der Multiinstrumentalist Casey Benjamin loopt sein Spiel auf der Kalimba, dann singt er, schließlich rockt Mike Severson ein astreines Solo auf der E-Gitarre.

„The Experiment“ heißt Glaspers Quintett, das er seit 2012 unterhält und am Dienstag im fast ausverkauften Yaam präsentierte. Das Doppelkonzert mit dem Quintett des Trompeters Christian Scott aTunde Adjuah bildete den Auftakt zu sechs prominent besetzten Abenden, mit denen die Konzertveranstalter der J.A.W Family bis zum 20. November ihr zehnjähriges Bestehen nachfeiern.

Fusion und HipHop

Für den 38-jährigen Glasper könnte die Karriere derzeit wohl keinen besseren Weg nehmen. Er hat die Musik für den Film über Miles Davis von Don Cheadle, „Miles Ahead“, geschrieben, koproduziert und mit eingespielt, er steht auf denselben Programmen wie Herbie Hancock und produziert sogar dessen nächstes Album, wie er im Yaam erzählt. Im Konzert spielt er Songs des neuesten Albums von The Experiment, „ArtScience“, das im September auf Blue Note Records erschien.

Aber warum erklingt in jedem Song „You, you, you“ in wenig abwechslungsreichen Varianten der Romanze „Junge sucht und trifft vielleicht auch sein passendes Mädchen“? Trotz der hübschen Vocoder-Effekte und Ingredienzien aus Fusion und HipHop schwimmen die Grooves im immer gleichen Fahrwasser und langweilen schnell.

Von echter Dringlichkeit getragen ist hingegen die Musik von Christian Scott. Auf der Basis von Fonvilles Schlagzeug changiert sie in einem erstaunlichen Spektrum zwischen melancholischem TripHop, beredten Improvisationen von Klavier und Trompete über Break­beats, seelenvolle Balladen und ansteckenden Drive. Scott spielt seine Trompete mit nach oben abgewinkeltem Schalltrichter, mal säuselnd mit Dämpfer, mal setzt er Effekte ein, die sie wie eine Melodica klingen lassen oder wie ein elektronisch verstärktes Muschelhorn, beim Klassiker „My funny Valentine“ verwandelt er sich als Ausdruck der Hommage den Ton von ­Miles Davis an, und offenherzig schwärmt mensch mit.

Restlos atemberaubend ist sein purer Trompetenton, der sich von der Bühne zielgerichtet Bahn bricht – in Europa gibt es keine vergleichbare Schall­ausbreitung. Denn so, wie Scott sein Spiel für kilometerweite Distanzen perfektioniert hat, spielen nur Trompeter, die, wie er, aus New Orleans kommen.

Restlos atem­beraubend ist Christian Scotts purer ­Trompetenton

Und so eingebunden in eine Gemeinschaft, die für das Publikum im Saal einen temporären Zusammenhalt stiftet, ist Musik hierzulande selten zu erleben. Das wird deutlich, als Scott jeden Musiker mit einer Geschichte vorstellt. Den aus Puerto Rico stammenden Bassisten Luques Curtis lernte er als Kind zufällig in Havanna kennen. Curtis, Mitte der Neunziger ebenfalls ein Junge, versorgte Scott mit Suppe und Eistee, nachdem sich der in Japan eine Lebensmittelvergiftung eingefangen hatte – die Einreise von US-Amerikanern nach Kuba war damals nur über Japan möglich.

Über den Pianisten Lawrence Fields sagt Scott, er könne alles von Delta Blues bis senegalesische Rhythmen spielen. Fields’ Improvisationen sind in der Tat verblüffend einfallsreich, gewitzt und elegant zugleich. Der letzte Song ist Scotts Großvater, Donald Harrison Sr., gewidmet. Voll Ehrfurcht und Stolz erzählt Scott von den Verbindungen zwischen Mardi Gras Indians aus New Orleans zur afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Sein Großvater war nämlich der erste Mann in Louisiana, der vier Tribes von Mardi Gras In­dians anführte, Scott selbst führt die Praxis des „masking Indian“ fort. Er sagt: „Mit Hass kannst du keinen Stamm aufbauen. Wenn du dich in mir siehst, sehe ich mich in dir.“ Seine Bemerkung, er würde niemals Trump wählen, sorgt am Dienstagabend noch für Lacher. Die Zugabe ist Scotts Song von 2010, Ku Klux Police Department, über die Gewalt weißer Polizisten, denen er selbst ausgeliefert war. Am Morgen danach steht fest, dass ein Rassist zum neuen Präsidenten der USA gewählt wurde.

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