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Ermittlungen gegen Glitzerwerfer

Protest Antifaschisten in Göttingen beklagen eine Vielzahl von Straf- und Ermittlungsverfahren

Seit einem Jahr überziehen die NPD und der rechtsextreme „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ Göttingen und Umgebung mit sogenannten Mahnwachen und „freiheitlichen Bürgertreffs“. Ebenso lange protestieren Nazigegner mit Demonstrationen, Blockaden und multikulturellen Festen – bisweilen werden „Freundeskreis“-Mitglieder auch verprügelt oder ihre Autos abgefackelt. Zuletzt ging in der Nacht zum 31. Oktober bei Duderstadt ein Fahrzeug in Flammen auf.

Die Antifaschistische Linke International in Göttingen, kurz Ali, fühlt sich für ihren politischen Protest von der Polizei kriminalisiert. Mittlerweile ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft in über 80 Strafverfahren gegen antifaschistische Aktivisten aus der Region, schreibt die Gruppe in einer Mitteilung. Die Göttinger Polizei bestätigte zahlreiche Verfahren.

Die hohe Zahl der Ermittlungs- und Strafverfahren dokumentiere die „Ausdauer und Hartnäckigkeit, mit der sich Menschen seit einem Jahr den Auftritten und Angriffen von Neonazis entgegenstellen“, heißt es weiter. Unter den Betroffenen seien Schlauchbootfahrerinnen und Versammlungsanmelder, Glitzerwerferinnen und Transparenthalter.

Die Repressionen gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten, so die Gruppe, hätten „ein weit schlimmeres Ausmaß angenommen, als zu den dunkelsten Schünemann-Zeiten“. Uwe Schünemann (CDU) war von 2003 bis 2013 Innenminister in Niedersachsen. Er wurde wegen seines harten Kurses gegen Flüchtlinge und Linke kritisiert.

Vor allem sei das Ausmaß der Kriminalisierung aber Ergebnis der „häufig eskalierenden Einsatzstrategien der Polizei“, schreibt die Ali. Ein Beispiel dafür sei der Einsatz der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) gegen die friedliche Blockade einer „Freundeskreis“-Demonstration am 22. Oktober in Duderstadt. Während Neonazis teils vermummt durch den Ort ziehen konnten, habe die BFE vermummte Gegendemonstranten festgenommen und teils verprügelt.

Die Polizei leitete mindestens 15 Ermittlungsverfahren wegen Widerstands und anderer Vorwürfe ein. Auch das örtliche Bürgerbündnis gegen rechts und Beobachter hatten das Vorgehen der Beamten hier als äußerst ruppig beschrieben.

Weil sie kurz vor der Kommunalwahl im September NPD-Plakate beschädigt oder gestohlen haben sollen, wird gegen sechs Personen wegen Sachbeschädigung und Diebstahls ermittelt. Im September hatte die Polizei in Göttingen 15 junge Leute festgenommen, die versucht hatten, eine Bahnreise von NPD-Anhängern zu einer Kundgebung durch die Besetzung von Gleisen zu behindern. Laut der Polizei seien auch Steine und Pyrotechnik auf die Beamten geworfen worden. Die Festgehaltenen bestritten die Steinwürfe jedoch.

Ein erstes Verfahren beginnt am 10. November. Zwei Antifaschisten sind beim Göttinger Amtsgericht wegen Sachbeschädigung angeklagt. Sie sollen das Auto eines rechten Verbindungsstudenten beschädigt haben. Reimar Paul

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