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Von Musik und Liebe leben

Jazzfest Intelligentes Ensemblespiel: die Konzerte der Saxofonistin Angelika Niescier und des Trompeters Wadada Leo Smith

Am Samstag stimmte es nicht so ganz mit der Genderparität. Eine Frau gegen 27 Männer, die auf der Hauptbühne im Haus der Berliner Festspiele musizierten – wer einzig zu diesem Konzert das Jazzfest Berlin besucht haben sollte, mag sich über die Ankündigung von Festivalleiter Richard Williams gewundert haben, dass in diesem Jahr viele Frauen im Programm vertreten seien.

Doch diese eine Frau, die Saxofonistin Angelika Niescier, war der Star des Abends. Ihr Auftritt mit dem Angelika Niescier/Florian Weber Quintet bot einen Glücksfall von intelligentem Ensemblespiel: Auf höchstem technischen und energetischen Niveau zeigten die fünf Musiker, dass man Aufmerksamkeit – und Drive – auch ohne selbstverliebtes Dauersolieren bekommen kann. Angefangen mit den Bläsern – neben der überragend kraftvollen Niescier spielte der Trompeter Ralph Alessi –, die ihren Ton perfekt aufeinander abstimmten, über die dynamischen Strukturen von Florian Weber am Klavier bis hin zum Rhythmusfundament von Bassist Eric Revis und dem wunderbar kontrollierten Schlagzeuger Gerald Cleaver hatte man den Eindruck, dass der Begriff „Synergie“, wenn er denn nicht längst so verschlissen wäre, hier tatsächlich mal passen könnte.

Der für den Abend als Höhepunkt erwartete Schlagzeug-Nestor Jack DeJohnette hatte mit seinem Trio hingegen einige Probleme im Zusammenspiel. Seine Mitstreiter, der Saxofonist Ravi Coltrane und der Bassist Matthew Garrison, haben dabei eine zusätzliche Hypothek zu tragen: Beide sind Söhne von Jazzlegenden, John Coltrane und Jimmy Garrison, die nicht nur die gleichen Instrumente spielten wie ihre Söhne, sondern ihrerseits schon mit DeJohnette arbeiteten.

DeJohnette schien seinen jungen Kollegen denn auch nicht ganz über den Weg zu trauen. An seinem Instrument machte er vorsorglich die Räume so dicht, dass Coltrane und Garrison kaum eine andere Möglichkeit blieb, als lautstark gegenzuhalten. Am Ende blieb der Eindruck, dass man drei Egos erlebt habe, die mit nicht immer fairen Mitteln um Vorherrschaft kämpften.

Virtuosität ohne Nabelschau

Dass es demokratischer geht, bewies der knapp 75-jährige Trompeter Wadada Leo Smith am Donnerstag mit seinem Great Lakes Quartet. Klassische Jazz­avantgarde kann man das nennen, was der US-Amerikaner mit seinen Landsleuten, dem Bassisten John Lindberg, dem Schlagzeuger Marcus Gilmore und dem Saxofonisten Jonathon Haffner zauberte.

Wie improvisierte Kammermusik präsentierte sich ihr dominanzfreies Miteinander im Haus der Berliner Festspiele. Smiths langjähriger Begleiter John Lindberg etwa ist am Bass von präziser Wendigkeit und beeindruckt mit Virtuosität ohne Nabelschau. Wie auch die übrigen Beteiligten ihre Beiträge in den Dienst des Ganzen stellen. Der Schlagzeuger Marcus Gilmore mit der Finesse, dass er sein ansonsten übersichtliches Schlagzeug mit drei Hi-Hats ausgestattet hat, die er oft parallel spielt, was einen scheinbar maschinenhaften Klappereffekt erzeugt.

Wadada Leo Smith kann man eigentlich nur lieben. Und er liebt uns. Zum Abschluss seines Auftritts verkündete er: „Wenn ihr wüsstet, wie sehr wir euch lieben, würdet ihr nicht mehr weggehen.“ Selbst Essen würde man nicht mehr benötigen, die Klänge wären Nahrung genug. Von Musik und Liebe leben – ja, warum denn nicht?

Tim Caspar Boehme

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