piwik no script img

taz bewegt

NOSTALGIE Erinnerungen und Geschichten aus drei Jahrzehnten taz.bremen

23. Juli 1987

„Von wo rufen Sie an?“ Frau Hensel sitzt am Telefon der SED-Kreisleitung in Rostock und ist konsterniert. Denn der Anruf kommt direkt aus dem nichtsozialistischen Ausland, ein Redakteur der taz-Bremen will wissen, was die Einheitspartei von der gerade unterschriftsreif ausgehandelten Städtepartnerschaft hält. „Das fragen Sie telefonisch? Sie sind aber ulkig“, entfährt es Frau Hensel. In den Westen konnte man aus der DDR damals nur per Handvermittlung nach Anmeldung und stundenlanger Wartezeit telefonieren, umgekehrt ging es schon mit Direktwahl. Das kannte die gute Frau noch nicht. Wahllos angerufene RostockerInnen reagieren weniger geschockt. „Ich fände die Städtepartnerschaft toll“, meint eine 19-jährige Schülerin, „nach Bremen würde ich gerne mal kommen.“ In Bremen blieb die gleiche Telefon-Umfrage ohne Erfolg: „Städtepartnerschaft? Keine Ahnung. Mit Rostock? Liegt das nicht in Polen?“ Zweieinhalb Jahre später fiel die Mauer. Dirk Asendorpf ehem. taz.Bremen-Redakteur

Ende 1986

„EINE für die Mitte“ war eine der schnellsten und erfolgreichsten Initiativen in Bremen – mit Hilfe der taz: Die Elterninitiative für eine Gesamtschule Mitte gründete sich Ende 1986 aus den vier Grundschulen der Östlichen Vorstadt. Schon 1988 wurden die ersten Klassen dieser „Gesamtschule neuen Typs“ eingerichtet. Ein Coup – neben der Wochenend-Besetzung des leerstehenden Schulgebäudes an der Hemelinger Straße durch 250 Eltern – waren die beiden sechsseitigen Ausgaben von „die elternzeitung“, in der konzeptionelle Ideen für die Schule mit Unterstützung der taz-Redaktion präsentiert wurden.

Franz Dwertmann

12. November 1987

Es gab eine Zeit, da war die Krone staatspolitischer Verantwortung die Regierungserklärung. Denn das hieß: ganz großer Wurf, weitsichtige Vision, Hochamt des demokratisch-parlamentarischen Diskurses. Im November ’87 war’s in Bremen wieder so weit. Der Bürgermeister hieß Klaus Wedemeier. Tagelang und unter höchster Geheimhaltungsstufe war im engsten Beraterkreis am rhetorischen Paukenschlag zum Auftakt der neuen Legislaturperiode gefeilt worden. Irgendwie bin ich damals an das Manuskript herangekommen: „Überall im Lande wächst der Wille zur Erneuerung“ und so weiter. Damals hatten Bremer Abgeordnete in den Parlamentssitzungen noch die taz und nicht Tablets auf ihren Tischen. Auch an diesem Novembertag hatten so einige die taz gelesen. Nur der Bürgermeister nicht. Umso irritierter war er am Rednerpult, als sich im Plenum erste Unruhe breit machte und schließlich Oppositionspolitiker – die taz vor der Nase – synchron ganze Passagen mitlasen. Klaus Schloesser ehem. taz.bremen-Redakteur

Januar 1991

Die US-Armee vertreibt mit der Operation „Desert Storm“ die irakische Armee aus Kuwait. Irakis zündeln beim Abmarsch mehr als 700 Ölquellen an. Deutsche Medien melden eine apokalyptische Umweltkatastrophe, Rußpartikel würden die Erde verfinstern. Weltuntergang auf den Titelseiten von Stern, Spiegel, taz und anderen. Als Cartoonist war ich natürlich dabei, mit immer drastischeren Untergangs-Zeichnungen. Dann kam ein texanischer Feuerwehrmann, Red Adair. Mit Lastwagenladungen voller Dynamit hat er innerhalb von zwei Wochen jede dieser brennenden Ölquellen ausgesprengt. Der Weltuntergang fand nicht statt. Ich habe mich derart in Grund und Boden geschämt, dass ich mich seitdem nie wieder an Weltuntergangs-Szenarien beteiligt habe. Til Mettetaz.bremen-Zeichner seit 1985

26. Juli 1993

In der Zeit der „Ampel“-Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP titelte die Bremer taz „Die multikulturelle Gesellschaft ist kein Garten Eden“. Ein Gespräch mit der Kultursenatorin Helga Trüpel über den Umgang mit Vielfalt in unserer Gesellschaft. Konflikte in einer Einwanderungsgesellschaft dürfe man nicht leugnen, erklärte sie, wenn man „offene Gesellschaft“ werden wolle, in der verschiedene Religionen und Kulturen ihren Platz haben. Es war auch ein Werben um Gleichstellung der Geschlechter und Minderheitenschutz, wo also eine deutsche Muslimin die Chance haben soll, muslimische Deutsche zu werden. Die taz hatte damals schon die Nase für die richtigen Fragen. Helga TrüpelEU-Abgeordnete (Grüne)

6. Februar 1995

Pressekonferenz bei Ralf Fücks. Höchste Alarmstufe. Sein grünes Umweltressort hat schützenswerte Vögel in der Hemelinger Marsch bei der EU gemeldet. Obwohl das doch eigentlich Gewerbegebiet werden sollte. FDP-Wirtschaftssenator Claus Jäger sieht seine Gelegenheit zum „Schlag den Fücks“. Die CDU stellt einen Misstrauensantrag gegen Fücks, die FDP will Fücks ihre Stimmen verweigern, Sprengsatz am Ampel-Senat. Da wird eine kurze Überschrift für die kurze Erklärung über das Vogelschutz-Problem gebraucht, zwei Sekunden Bedenkzeit. Dann steht da: „Die Piepmatz-Affäre“. Am nächsten Tag meldet dpa, „in einer Bremer Tageszeitung“ sei von einer „Piepmatz-Affäre“ die Rede gewesen. Mittags Anruf der Berliner taz-Kollegen: Ob wir nicht in der Bundesausgabe etwas über die „Piepmatz-Affäre“ schreiben wollten. Der Begriff machte die Runde, heute gehört er zum Weltwissen mit Wikipedia-Eintrag (ohne Quelle).

Jochen Grabler ehem. taz.bremen-Redakteur

Auf noch viele Jahrzehnte

Wir – die taz.bremen und ich – haben das Brustkrebs-Screening, die Reihen-Röntgenuntersuchung für Frauen ab 50, die in Bremen bundesweit modellhaft gestartet wurde, von Anfang an kritisch kommentiert. Ich erinnere mich an eine Vielzahl fundierter Texte. Unterm Strich hat’s nichts genutzt, zu groß ist das Geschäft hinter dem Screening. Inzwischen liegen Studien vor, die den fragwürdigen Nutzen belegen. Haben wir ja gleich gesagt, wäre jetzt zu schlicht – egal: Auf noch viele Jahrzehnte taz.bremen!Ulrike HauffeBremer Frauenbeauftragte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen