Interpretationsräume
: All dieseGewalt

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Man hört die Leute rufen: „All diese Gewalt“. Aber in der vergangen Woche haben sie damit ausnahmsweise mal nicht die allgemeine Weltlage verzweifelt kommentiert. Sondern sie haben sich lustvoll auf ein Konzert des gleichnamigen Stuttgarter Musikprojekts vorbereitet. Möglicherweise spekulierten sie dabei auf eine maximale Steigerung des Auftritts der Band „Gewalt“, den kleinen neuen Stern am Noise­rock-Himmel, der kurz zuvor durch Hamburg marodiert war.

Was soll jetzt noch kommen? Mit Blick auf den Terminkalender muss man sagen: einiges. Wer um die Ecke denkt, landet bei Kate Tempest, die ihren wunderbaren (und durchaus nicht durchgehend in pazifistischen Gefilden angesiedelten) Roman „The bricks that built the houses“ als genauso wunderbare wie kluge Hip-Hop-Vertonung vorgelegt hat (30. 10., Mojo).

Aber es gibt noch eine dritte, ziemlich verbreitete Variante: etwas direkter in der Selbstbetitelung, im Fundament popmäßig nebulös. So verweist „Trümmer“ (3. 11., Uebel & Gefährlich) ja wahlweise auf irgendeinen gesellschaftlich relevanten Untergang oder nur auf desolate private Zustände zwischen Enttäuschung und jungmännlichem Weltschmerz. Who knows?

Und auch „Messer“ (12. 11., Molotow) durchmisst einen Interpretationsraum – jenen zwischen Attentat und bürgerlichen Tischmanieren nämlich. Sehr viel klarer hingegen der von dem Rapper „MC Bomber“ (5. 11., Waagenbau) repräsentierte Typus. Er beschäftigt sich, musikalisch minimalistisch gehalten, textlich an Bukowski gestählt, mit dem Leben der Unterschicht von Prenzlauer Berg. Dem Ort, wo man Gewalt und Messer nicht hört, sondern macht. Bis die Gentrifizierung das alles bald erledigt hat und nur noch gewaltige Namen übrig sind.

Thema Name zum Abschluss: Den Vogel schießt, gleich heute, ein Herr aus den USA ab, der für freundliches, leicht versponnenes Singer/Songwriting steht. Er hat nämlich nicht nur in Kurt ­Viles Begleitband „The Violators“ mitgespielt. Er heißt einfach auch: „Steve Gunn“ (29. 10. Aalhaus).