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Tristesse, unverklärt

Dokumentarfilm „Seit die Welt Welt ist“ erzählt vom heutigen bäuerlichen Leben in Nordspanien

„Seit die Welt Welt ist“, sagt Luís Gonzalo, „ist das Leben das Leben.“ Das klingt auf Spanisch gleich viel besser, auch wenn die Aussage gleich ist. Und es passt – auch filmisch – gut, dass gleich darauf ein frisch geschlachtetes Schwein zur Wurstproduktion gemächlich durch den Fleischwolf in eine große Steingutschüssel gedreht wird. Schließlich gehört das kleinbäuerliche Schlacht-Szenario als zwingender Bestandteil in ein dauerhaft populäres Subgenre des Dokumentarfilms, das sich – oft nostalgisch – mit dem Leben auf dem Land beschäftigt.

Solche Filme gibt es von überall. Dieser kommt aus einem Dorf in Nordspanien, einer auch vor der großen Krise nicht mit Reichtum gesegneten Landschaft. Jetzt treibt es besonders viele zum Abwandern. In Vadocondes im Duerotal sind die Hälfte der etwa 400 Einwohner Rentner. Die Leere im Dorf verschwindet nur im Sommer für zwei Monate, wenn die Migranten mit ihren Familien in der alten Heimat zu Besuch kommen und feiern.

„Wenn du hier niemand sehen willst, musst du dich nicht besonders anstrengen“, sagt Gonzalo, der mit seiner Familie im Zentrum des Films steht, „schwierig ist es, wenn du jemanden sehen willst.“ Auch die beiden jüngeren seiner Söhne (ein studierter Veterinärmediziner, ein angehender Forstwirt) sind schon auf dem Absprung. Der mit 26 Jahren älteste, der wohl wegen seines Irokesenschnitts „Punky“ genannt wird, soll den Betrieb eigentlich einmal übernehmen. Doch auch seine Freundin ist schon fort nach Bilbao. Und beim Bauer selbst erwirtschaftet längst Ehefrau Rosa mit ihrer Arbeit als Krankenschwester mindestens die Hälfte des Familieneinkommens.

Der seit Langem selbst in Spanien lebende österreichische Regisseur Günter Schwaiger dokumentiert ein Jahr in diesem Dorf: Aussaat, Ernte, Weinlese, Feste, Prozessionen sind die naturgegebenen gliedernden Stationen. Und eine narrativ fließende Montage des erfreulich wenig aufgemotzten Materials, die in ihrem Flow der soliden Qualität der hergestellten Produkte entspricht.

Verklärt wird dabei diesmal nichts. Denn die familiär gemeinschaftlich hergestellte Blutwurst ist zwar garantiert reinstes Slow Food. Doch auf dem Kartoffelacker und beim Beschneiden der Weinstöcke wartet harte unromantische Einzelarbeit, im Hintergrund braust die nahe Autobahn statt Vogelgezwitscher. Dazu kommt der Kampf gegen Frühfrost, Rebschädlinge, marodierende Wildschweine, Marihuana-Piraten und kaputte Technik. Und Verträge mit den Abnehmern von Mais und Kartoffeln, die es nur gibt, wenn man von ihnen gleichzeitig das hybride Saatgut kauft.

Wenn man hier keinen sehen will, muss man sich nicht besonders anstrengen

„Eine totale Mafia“, schimpft Gonzalo, die am Sterben der Dörfer schuld sei. Vor nostalgischer Verklärung der Vergangenheit schützt ihn auch das Wissen um die eigene Geschichte. Denn der Generalissimo Francisco Franco hatte seinen Vater nicht nur gezwungen, seine Weinstöcke auszureißen und zu vernichten. Auch ein in der sozialistischen Gewerkschaft UGT aktiver Onkel wurde im August 1936 von den Franquisten ermordet. Fast 70 Jahre später werden ihre Gebeine endlich aus den ganz in der Nähe liegenden Totenfeldern exhumiert und richtig bestattet, am Ort eine Gedenktafel errichtet. Ein Ereignis, das selbst ein paar japanische Journalisten zum Interview mit Gonzalo in das Dorf lockt. Der kann, nicht nur wegen seines bodenständigen Humors, aber auch gut einen ganzen Film tragen.

Silvia Hallensleben

„Seit die Welt Welt ist“. Regie: Günter Schwaiger. Spanien 2015, 103 Min.

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