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Leiden unter Runen

Museumsführung Das thüringische Altenburg wirbt für den Besuch einer privaten Ausstellung, in der die krudesten Verschwörungs-theorien zum angeblich in seiner Existenz bedrohten deutschen Volk präsentiert werden

Aus Altenburg Angelika Laumer

Er hat sich eine Ritterburg gebaut, er ist wie ein Naturbursche im Strickpulli gekleidet und sein Credo ist, man müsse selber denken: Jürgen Lange. Seine im Vergleich zu einer mittelalterlichen Anlage dann doch ein wenig kläglich anmutende Uferburg steht im thüringischen Altenburg und wer will, kann dort einen Erlebnisurlaub machen. Vor oder nach etwa dem Bankett „Futtern wie bei Luttern“ oder „Barbarossas Ritterfressen“ führt Lange auch gern über das Gelände: Es geht durch die Burg, in die Mutter-Erde-Kapelle und seine im Januar 2016 eröffnete Ausstellung „2000 Jahre – des deutschen Volkes Leidensweg“.

Wir treffen uns für die Führung im sogenannten Wettiner Hof, wo die Gebäude ringsum mit Fachwerkelementen gestaltet sind, wo er in den vergangenen 25 Jahren natürliche Materialien aus Deutschland verbaut hat.

Eine Motorradgruppe auf Burgurlaub ist ebenfalls mit von der Partie. Von der aktuellen Regierung halte er nicht viel, deutet Lange eingangs an, er habe sich 1989 noch in der Bürgerbewegung engagiert, doch sei nach der Wende alles schlimmer geworden. Während der Führung wird er noch oft in Andeutungen sprechen. „Sie wissen, was ich meine“, sagt er dann vielsagend, zieht die Augenbrauen hoch, und manche in der Besuchergruppe nicken eifrig dazu. Erst auf Nachfrage erklärt er dann ausführlich vor unserem Eintritt in das Gebäude: Eigentlich sei es bei ihm üblich, sich vor Eintritt die Hände zu desinfizieren, bevor es in die chemtrailfreie Zone, die Burg, gehe. Schließlich gibt es hinreichend Beweise, dass auch Angela Merkel sich in ihrem Flieger vor Chemtrails schütze.

Die Behauptung, höhere Mächte würden mit den von Flugzeugen am Himmel hinterlassenen Kondensstreifen, den „Chemtrails“, Menschen vergiften und das Wetter beeinflussen, ist ein Klassiker unter den Verschwörungsideologien. Lange jedenfalls spürt die Wirkung der Chemtrails am eigenen Leib, er sei viel öfter krank als früher. Wieder Nicken etliche in der Besuchergruppe.

Deutsche Opfergeschichte

Träger der Uferburg ist der Verein Lebenskurve e. V., hinter dem Jürgen Lange und dessen Familie stehen soll. Lange hat die Ausstellung „2000 Jahre des deutschen Volkes Leidensweg“ in Kooperation mit dem Deutschen Zivilschutz e. V. zusammengestellt. Der Verein wiederum leistet praktische Hilfe für jene, die der Wahnvorstellung anhängen, eine deutsche Schicksalsgemeinschaft sei bedroht: Der Deutsche Zivilschutz lehrt in Seminaren, wie man sich und die eigene Familie im Katastrophenfall drei Monate lang versorgt und welche Alternativen es zum Geldsystem gibt.

Das antifaschistische Infomagazin Der Rechte Rand zählt die Vereine zum Umfeld des informellen Netzwerks Bürgerforum Altenburger Land, das wiederum ein lokaler Pegida-Ableger sei. Im August lud das Bürgerforum über Facebook zu einem Vortrag im Wettiner Hof, Thema: „Die GEZ – Wie man keine Zwangsgebühren mehr zahlt“. Im Februar 2016 organisierte das Bürgerforum eine Veranstaltung, auf der auch der neurechte Publizist Jürgen Elsässer sprach. Der SPD-Oberbürgermeister Michael Wolf war einer unter 500 Personen im Publikum.

Wir stehen mittlerweile vor der „Mutter-Erde-Kapelle“ in der Uferburg. Der Bau ist groß und hell, 50 Menschen können dort sitzen. Er ähnelt einer modernen christlichen Kapelle. „Gedenke deiner Ahnen“ ist auf einem Altar zu lesen. Über der Eingangstür prangt eine Lebensrune, an der Decke die Schwarze Sonne. Auch im Obergruppenführersaal der Wewelsburg bei Paderborn befindet sich die Schwarze Sonne als Ornament auf dem Boden. Heinrich Himmler ließ die Wewelsburg als „SS-Burg“ umbauen. Zudem befand sich dort ein Konzentrationslager, das auch Exekutionsort der Gestapo war.

In der Uferburg-Kapelle gibt es eine kleine Orgel, die von einem Kind Langes bei Zeremonien gespielt wird. Die Uferburg ist ein Familienbetrieb. Kurz zuvor feierte Langes Familie hier die Taufe seines Enkelkinds. Einmal wöchentlich finden sich AltenburgerInnen in der Kapelle für nichtöffentliche sakrale Zeremonien ein, die dem Frieden und dem Umweltschutz gewidmet sind. „Ein evangelischer Priester hat hier schon ein Paar getraut, den Namen des Priesters kann ich nicht nennen“, sagt Lange. Er sei Anhänger eines „Urchristentums“, mit der Amtskirche wolle er nichts zu tun haben.

Altenburg ist Thügida-Land, und entsprechend ist das politische Klima, in dem Langes Geschichtsensemble gedieh. Bei der ersten Thügida-Demonstration im Herbst 2015 trafen sich Nazis und bürgerliches Milieu: 2.300 Personen nahmen teil. Im Dezember 2015 wurde ein Anschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete verübt, bei dem neun Menschen verletzt wurden. Das Landgericht Gera verurteilte einen der Täter zu über drei Jahren Haft, einen Mittäter zu einer Geldbuße von 1.200 Euro.

Im August 2016 verfolgte, attackierte und verletzte ein bislang unbekannter Mann einen Syrer. Unterdessen veröffentlichte der Optiker Gebhard Berger seine Stammtischhetze, in der er sich unter anderem homophob und sexualisiert über politische GegnerInnen auslässt, regelmäßig im kostenlosen Anzeigenblatt „Kurier“, das es auf eine Auflage von 55.000 bringt.

Wir gehen mit Lange nun in die Geschichtsausstellung, die zeigen will, „wie mit der Geschichtsfälschung der Sieger immer wieder versucht wurde und wird, ein Volk von hörigen Systemdienern zu züchten“. Von der Zwangschristianisierung über Hexenverfolgung und „Bombenholocaust“ bis hin zur heute andauernden amerikanischen Vorherrschaft und den Profiten der Lebensmittelindustrie wird Langes Deutung der Geschichte eines angeblich in seiner Existenz bedrohten deutschen Volkes erzählt.

Die Ausstellung ist – für ein nominell privates Projekt –aufwändig inszeniert. In dem Raum sind zahlreiche Objekte in Glasvitrinen zu betrachten: Fotografien, Bombenfragmente, Lebensmittelverpackungen, Bücherstapel, aus denen neben Elaboraten aus dem auf Verschwörungsideologien spezialisierten Kopp-Verlag auch Harald Welzers „Selbst denken“hervorlugt. In der Opfererzählung fehlt auch die Vertreibung der Deutschen aus dem heutigen Polen und Tschechien nicht: Eine am Bauch ausgestopfte Schaufensterpuppe – die Puppe ist schwanger – mit einer kleinen Schaufensterpuppe an der Hand symbolisieren die Vertreibung.

Lange vertritt in seinem weiteren Rundgang eine recht spezielle Version des Antisemitismus: Hitler wäre zionistischer Agent aus Großbritannien, die ermordeten Jüdinnen und Juden wiederum wären Opfer jüdischer Führer gewesen, die mit den Nazis paktiert hätten. Anhand von Zeitungsausschnitten über binationale Familien erklärt er sein völkisches Denken: „Von oben“ werde die Rassenvermischung gelenkt. „Das ist eben meine Meinung, nur eine Meinung unter vielen“, sagt Lange.

Die Stadt lässt ihn mit dieser Meinung gewähren. Die Geschäftsführerin der Altenburger Tourismus GmbH, die „Barbarossas Ritterfressen“ bewirbt, schrieb auf Nachfrage in einer E-Mail, dass „das Thema Reformation und das Thema Barbarossa in der Spielkartenstadt Altenburg zum touristischen Angebot gehören“ und man keine „Gedankenpolizei“ in den geschäftlichen Beziehungen mit Lange wolle.

Der wirbt derweil auf seiner Website dafür, Schulprojekte zum Thema „Wer schrieb mein Geschichtsbuch?“ zu veranstalten. Im Juni 2016 fand ein Kinderfest mit Ponyreiten und Feuerspucken in der Uferburg statt. Der Gastronom hat für alle was im Angebot: Uns, die er „verwirrte Studenten“ nennt, spielt er zum Abschied Ernst Buschs „Ami go home!“ vor. Wir suchen das Weite.

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