: Allgemeine Müdigkeit
WM-Qualifikation Bei der 0:1-Niederlage in Katar stehen die syrischen Anhänger trotz großer Differenzen geeint hinter dem Nationalteam. Fußballer, die die Opposition unterstützen, müssen unterdessen nach wie vor Repressalien fürchten
Aus Doha Tom Mustroph
Das Team, das am diesem Dienstag beim WM-Qualifikationsspiel in Katar in den weißen Auswärtstrikots der „roten Adler“ Syriens aufläuft, ist das des syrischen Fußballverbands aus Damaskus. Man muss dies erwähnen, weil die Freie Syrische Armee ein eigenes Team hat, das im Süden der Türkei trainiert. Es setzt sich aus Fußballern und Betreuern zusammen, die entweder vor dem Staatspräsidenten Baschar al-Assad oder dem „Islamischen Staat“ oder vor beiden geflüchtet sind. Diese Mannschaft wird aber nicht von der Fifa anerkannt.
Von all diesen Konflikten ist im Stadion in Doha nichts zu spüren. Männer in den traditionellen weißen Gewändern der katarischen Bevölkerung gehen einträchtig neben solchen in Freizeitkleidung, die syrische Fahnen tragen, durch die Stadiontore. Fast komplett weiß die Zonen, in denen Anhänger der Gastgeber sitzen, bunt hingegen der Abschnitt, in dem sich die syrischen Fans befinden. Sie stehen, schwenken die Fahnen und bewegen sich im Rhythmus der Trommeln. „Surya, Surya“ erschallt der Schlachtruf von den Rängen – und übertönt sogar den durch Lautsprecher verstärkten arabischen Gesang, der von den Gastgebern kommt.
Auf dem Platz sind die Kräfteverhältnisse anders. Die katarische Elf dominiert das Geschehen. Sie hat drei, vier große Chancen, die aber der syrische Torhüter Ibrahim Alma mit tollen Reflexen vereitelt. Alma tritt für Al-Ittihad an, einen Verein aus Aleppo. In der letzten Saison wurde der Klub Dritter der ersten syrischen Liga. Spiele im heimischen International Stadium, erst 2007 offiziell von Baschar al-Assad eingeweiht, hat der Verein dort allerdings schon länger nicht ausgetragen. Die meisten Begegnungen finden in der Hauptstadt Damaskus und der Hafenstadt Latakia statt. Heimspiele der Nationalmannschaft werden im etwa 7.500 km entfernten Malaysia ausgetragen. „Das ist eine politische Entscheidung des Asiatischen Fußballverbands. Wir fügen uns in die Bedingungen, was bleibt uns sonst auch schon übrig“, sagte Syriens Nationaltrainer Ayman Alkheem nach dem Spiel in Doha. Die vorherige Qualifikationsrunde musste Syrien in Oman absolvieren. Das ist nur 3.000 Kilometer entfernt. Doha liegt etwa 1.000 Kilometer näher an Damaskus – das Auswärtsspiel in Katar wurde so zum Heimspiel.
Die etwa 1.000 Syrer, die im Stadion waren, sind aber nicht aus der Heimat angereist. „Die meisten von uns sind zehn, fünfzehn, ja zwanzig Jahre hier“, erzählt Hassan, ein Ingenieur, der seine Kinder mit ins Stadion gebracht hat. Insgesamt 50.000 Syrer leben in Katar, schätzt er. Dazu muss man die etwa 25.000 Flüchtlinge rechnen, die laut Aussage des katarischen Außenministeriums seit Ausbruch des Kriegs in Syrien nach Katar gekommen sind. Offiziell nimmt Katar keine Flüchtlinge auf, was dem Land internationale Kritik einbrachte. Aber jenen, die über Touristenvisa oder im Rahmen von Familiennachzug nach Katar kommen, stellt die Regierung Unterkünfte zur Verfügung. Zudem wurden auch mehrere Schulen errichtet. Das erzählt ein Vertreter des Informationsministeriums.
Nach Beobachtung von Hassan war von diesen Neuankömmlingen aber niemand im syrischen Fanblock. Das bestätigen seine Freunde Ahmed und Hussein, einer lebt ebenfalls seit knapp einer Dekade in Katar, der andere, von Beruf Schönheitschirurg, ist für das Spiel schnell von Dubai herübergekommen. Über die 0:1-Niederlage ihrer Mannschaft sind sie betrübt. Sie freuen sich aber darüber, wie die Truppe gekämpft hat. „Und eines ist wichtig, es ist das Wichtigste überhaupt heute: Du hast ein einiges Land gesehen. Hier im Stadion waren Syrer aus allen Teilen des Landes, aller Konfessionen, aller politischen Überzeugungen. Und sie haben diese Mannschaft mit vereinter Kraft angefeuert“, sagt Ahmed. Vor zwei Jahren sei das noch anders gewesen. „Da haben sich die Fangruppen untereinander bekämpft, pro Assad gegen pro Opposition, Kurden gegen Muslime und auch noch die einzelnen Regionen gegeneinander. Jetzt sind alle müde. Wir wollen ein Land und haben eine Mannschaft“, erklärt er.
Der Fußball hat für einen Moment Frieden hergestellt und den Blick auf eine Zukunft eröffnet. Zum richtigen Frieden gehört aber nicht nur eine politische Lösung über die Machtverteilung im Lande. Auch jene Nationalspieler, die als Anhänger der Opposition das Land verlassen haben und zum Teil sogar im bewaffneten Kampf gegen Assad standen, müssen die Chance auf eine Rückkehr auch in die Nationalmannschaft haben. Bisher fürchten sie – wie der frühere U17-Kapitän Mohammed Jaddoua, derzeit bei den A-Junioren von Arminia Bielefeld unter Vertrag – Repressalien bei einer Rückkehr.
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