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MUSIK

MusikPhilipp Rhensius hört auf den Sound der Stadt

Nehmen wir den Titel dieser Kolumne mal wörtlich. Wie klingt Berlin 2016? Viele würden wohl sagen: Natürlich nach Techno – immerhin war es doch jene Musik, die kurz nach der Wende auch auf sozialer Ebene große Sprengkraft hatte – auch wenn sie dann später mitverantwortlich war für die neoliberal-strukturökonomische Entwicklung von Berlin als Alternativoase zur, räusper, Creative City. Heute jedoch ist die Stadt längst nicht mehr nur eine globale Technometropole, sondern auch ein Mekka für experimentelle Musik zwischen Jazz, Drone, freier Improvisation. Pro Jahr finden allein in diesem Bereich inzwischen über 1.500 Konzerte statt, also rund drei bis fünf pro Tag. Weil man da leicht den Überblick verlieren kann, folgt ein kurzer Streifzug durch das Wochenende, das ja bekanntlich am Donnerstag beginnt.

Im Miss Hecker treffen drei erfahrene Impro-Musiker zusammen. Neben Mitsuaki Mat­su­moto an der präparierten Biwa, einem traditionellen japanischen Saiteninstrument, und Michael Thieke an der Klarinette ist der libanesische Musiker Mazen Kerbaj eingeladen. Der ist bekannt dafür, mit seiner Trompete Kriegsgeräusche wie Bombeneinschläge und Maschinengewehre zu simulieren, die ihm vom Libanon-Krieg 2006 im Gedächtnis geblieben sind. Die Konzertlocation ist ein privates Wohnzimmer, weshalb die Adresse nicht öffentlich ist. Über soziale Medien sollte sie aber leicht herauszufinden sein (6. 10., 20 Uhr).

Freitags beginnt das DAT-Festival, das zeitgenössischer Musik sowie Sound-, Performance- und Installationskunst eine dreitägige Plattform bietet. Zu Gast sind etwa der französische Experimentalsaxofonist Etienne Jaumet, der Klangkünstler Shun Owada aus Tokio, der Berliner Technomusiker T.Raumschmiere, der jedoch statt eines seiner tanzwütigen Livesets ein Ambient-Set angekündigt hat, aber auch etliche Projekte aus dem Berliner Underground wie Agente Costura aka Lisa Simpson, die mit einer Nähmaschine musiziert, die griechischstämmige Pianistin Maroulita de Kol oder das Berliner Duo INRA, das zähflüssige Drones und Loops mit Gitarren- und Schlagzeugimprovisationen verschaltet. Ebenso vielsprechend ist der Ort selbst, ein altes Kesselhaus in einem ehemaligen Ostberliner Krankenhaus (Kesselhaus Herzberg, Herzbergstraße 79, 7.–9. 10).

Apropos. Der Osten steht auch im Zentrum des „Easterndaze Festivals“, das den musikalischen Untergrund in Zen­tral- und Osteuropa beleuchtet. Am Sonntag wird im Lichtblick-Kino die Dokumentation „Beograd Underground“ über eine Stadt gezeigt, die als kulturelle Insel interessante Parallelen zum Berlin der 1980er Jahre aufweist (9. 10., Kastanienallee 77, 20 Uhr).

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