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„Es entsteht Neues gegen die Verrohung unserer Gesellschaft“

Motivation Esra Küçük leitet das Gorki Forum im Berliner Maxim Gorki Theater und streitet für die offene Gesellschaft. Warum?

Esra Küçük

33, Sozialwissenschaftlerin, hat in Stanford und Münster studiert und ist Gründerin der Jungen Islamkonferenz. Sie wuchs in Fischbek in Hamburgs ­Süden auf, spielte Fußball beim FC Süderelbe und war mal Ballholerin beim FC St. Pauli.

taz: Frau Küçük, warum unterstützen Sie die Initiative Offene Gesellschaft?

Esra Küçük: Es ist erschreckend, zu sehen, dass momentan der rechte Rand unserer Gesellschaft so viel Gehör bekommt, obwohl vier Fünftel der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland freiheitlich und demokratisch eingestellt sind. Das will ich nicht hinnehmen. Gleichzeitig beobachten wir seit einigen Jahren islamfeindliche Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft. Das ist gefährlich für den sozialen Frieden.

Was folgern Sie daraus?

Sich raushalten geht nicht mehr. Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich, die politischen Forderungen verrücken sich nach rechts. Freiheiten und Rechte, die wir in den vergangenen 15 Jahren errungen haben für ein modernes Einwanderungsland Deutschland, werden infrage gestellt. Unsere Initiative geht über die gesellschaftlichen Trennlinien zwischen konservativ, liberal und so weiter hinaus. Sie tritt für eine fortschrittliche Haltung einer offenen Gesellschaft gegenüber ein.

Was meinen Sie damit?

Offene Gesellschaft heißt viel mehr als linke Politik. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass sich die Allianzen in den letzten zwölf Monaten verschoben haben.

Haben Sie Beispiele?

Der Münchener Erzbischof fordert Solidarität mit Geflüchteten ein, die evangelische Kirche setzt sich für Kirchenasyl ein. Wirtschaftsvertreter wollen einen Abschiebestopp für Geflüchtete in Ausbildung. Das sind alles Menschen, mit denen ich politisch sonst nicht einer Meinung bin. Ihre Haltung entzieht sich den üblichen politisch-kulturellen Schemata. Es entsteht Neues gegen die Verrohung unserer Gesellschaft.

Was hat Sie in den vergangenen Monaten frösteln lassen?

Die täglichen Nachrichten aus der Türkei, wo Journalisten, Wissenschaftler und Schriftsteller aufgrund ihrer Meinung festgenommen werden. Oder wenn die AfD in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin starke Wählerzustimmung erreicht – 21 und 14 Prozent. Das sind alles Wege in die geschlossene Gesellschaften, die mich erschrecken. Alle dachten, das könnte nicht passieren – aber es ist eben doch passiert. Wie beim Brexit.

Was hat Sie denn gefreut?

In meinem direkten Umfeld sind es Nachrichten auf alltäglicher, kommunaler Ebene, die mich freuen: Geschichten über Solidarität immer. Etwa die Gründung der Initiative Kiron, die Geflüchteten einen Zugang zu Hochschulbildung gewährleistet. Das hat mich gefreut. Nur berichtet man über die positiven Geschichten nicht so oft. Jan Feddersen

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