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Archiv-Artikel

Moment der Querelen

Nervtötend, dieser Medienmainstream: Merkel, heißt es, werde Kanzlerin. Warum eigentlich? Und: Was hätte ein schwarz-rotes Projekt davon, das als solches noch allerlei Erklärungen harrt?

VON JAN FEDDERSEN

In der Welt am Sonntag stand es gestern so zu lesen: „Da die Union für sich den Kanzler und das Amt des Kanzleramtsministers fordert, läuft die Regelung darauf hinaus, dass die SPD zwei Fachministerien mehr besetzen kann als CDU und CSU.“ Das Zentralorgan des deutschkonservativen Weltgewissens, notwendig spekulativ schreibend, doch im Präsens formuliert tut so, als sei das alles schon klar. Die Zeit sekundierte Donnerstag vorweg: „Die SPD jedenfalls kann ihr diesen Anspruch kaum streitig machen.“ Warum eigentlich nicht?

Sämtliche Medien folgen Wolfgang Schäubles Sprachregelung, es sei gute parlamentarische Gepflogenheit seit 1949, dass in einer Koalition die größere Partei den Regierungschef stellt. Aber wo steht das geschrieben?

Die vergangenen Tage wurden medialisiert durch genau jene „Arschlochrepublik“ (Tom Schimmeck in der taz am Tag vor der Wahl), die Schröder und die Seinen schon aus ästhetischen Gründen für eine Zumutung hielten – und umso schockierter reagierten, als das Volk ihnen keine Gefolgschaft leistete: Nein, so lässt sich das Resultat lesen, wir wollen weder Union noch Schwarz-Gelb. Niemand scheint in der Union so klug, „die Kirche im Dorf zu lassen“ (Schröder): Das rot-rot-grüne Lager ist stärker in der Bundesrepublik als das der Konservativ-Liberalen. Sämtliche relevanten Opfer- und Betroffenengruppen des sozialstaatlichen Umbaus sind Fellows von Rot-Rot-Grün (und Schröder). Niemand aus diesen Milieus wollte die Union à la Merkel. Schon aus diesen Gründen kann der Union nur an einer israelischen Lösung gelegen sein: zwei Jahre die Linken, die beiden anderen die Konservativen. Aber CDU wie CSU scheinen den gesellschaftlichen Charme dieser Idee nicht begreifen zu wollen – aufgrund ihrer inhaltsarmen Gier nach Macht. Dabei hat man längst keine echten hegemonialen gesellschaftlichen Truppen mehr, weder die modernen Frauen noch die Umweltbewussten, die Multikultis und Migranten oder die lifestyligen Urbanisten.

Die Union macht keine Majorität mehr. Sie mag in den meisten Bundesländern regieren, aber jüngst erzielte die SPD in 10 der 16 Länder teils haushohe Mehrheiten. Die Union ist nicht mehr Staatspartei schlechthin: Würden CDU und CSU sich durchsetzen, wäre ihre Sympathisantenschar in oben skizzierten Milieus enttäuscht. Auf jedem Parteitag der SPD wäre das Moment der Querele gegenwärtig: Man ist unzufrieden und hofft auf Erosion. Das aber, so müsste es auch die Union kalkulieren, wäre keine Basis für eine Koalition, von der erwartet wird, dass sie gemeinsam jene sozial-, finanz- und arbeitsmarktpolitischen „Sauereien“ verantwortet, die die Union gern der SPD allein anlastet.

Würde Merkel inthronisiert, dürfte sich die SPD tatsächlich auf eine lange Oppositionszeit (ob in der Regierung oder nicht) einrichten. Klaus Wowereit, Berlins populärer Bürgermeister, kann das erschütternd begreifbar erzählen. Ein Ortsgespräch ins Rote Rathaus reicht, um zu erfahren, wie das war: Ein gutes Jahrzehnt jeden Unionsmist mitmachen müssen, ohne selbst Akzente setzen zu können.