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Auf ins Dunkle

DHM Als er auf dem Dachboden alte Fotos seines Urgroßvaters fand, machte sich Andréas Lang auf die Reisein die deutsche Kolonialgeschichte. Seine Spurensuche resultiert in der Ausstellung „Kamerun und Kongo“

von Anne Haeming

Auf einmal hebt das Getöse an. Donnergrollen, Sturzregen, Sturm füllt den Raum aus, vom Grillenzirpen einer Nachtprojektion auf Videoleinwände ist nichts mehr zu hören. Auf der Suche nach der Geräuschquelle findet man sich ein paar Stellwände weiter vor einer anderen Leinwand wieder: eine rumpelige Hängebrücke, die in Zentralperspektive direkt ins dunkelste Urwaldgrün führt. Sie wird hin und her geschüttelt, versinkt irgendwann im Nebel. Ganz und gar unheimlich.

Dass dieses Donnergrollen auch Gefechtsgeräusch sein könnte, ist eine der Stärken der Ausstellung „Kamerun und Kongo“, in der der Pfälzer Fotograf Andréas Lang im Deutschen Historischen Museum derzeit 50 Bilder und Videoinstallationen neben alten Aufnahmen seines Urgroßvaters zeigt, die er zu Hause auf dem Dachboden fand. Dieser Reinhold Koblich war von 1909 bis 1914 Offizier in den deutschen Kolonien in Kamerun und Kongo – und Lang brach auf, dieser Zeit nachzuspüren, den blutigen Kämpfen, den brutalen Eroberungszügen, den Fronten, die die Deutschen während des Ersten Weltkriegs dort fern von Europa aufzogen.

Reise ins Herz der Finsternis

Die Fotografien, die er 2012 und 2016 mitbrachte, zeigen: Es ist eine Reise ins Herz der Finsternis, wie bei Joseph Conrad, „eine Spurensuche und Phantomgeographie“, wie der Untertitel sagt. In der Tat ist das Unbestimmte und Unbestimmbare immer mit im Bild: Tore, Türen als dunkle Löcher, Ruinen, Urwaldszenen, die alles verschlucken, ein altes Maschinengewehr in blutroten Bodendeckern, über allem ein Nebelschleier. Der Blick aufs Dahinter ist bei ihm immer nur angetäuscht. Die Haltung des Betrachters bleibt damit von Grund auf unsicher – besser lässt sich kaum evozieren, was bei uns heute im Argen liegt. In Sachen Aufarbeitung starren wir alle immer noch auf eine wackelige Hängebrücke, die mittenmang ins Dunkle führt.

Bedauerlich, dass die Fotografien des Urgroßvaters, die Expeditionsberichte chronologisch nicht gleich am Anfang und inhaltlich nicht zentral auftauchen. Verstaut in Vitrinen wirken die Fotos wie nachgeschoben, das Tagebuch ist unleserlich für alle, die kein Sütterlin beherrschen, der vorgetragene Auszug fast unhörbar, kurz: Die Spuren, die Lang inspirierten, sind weitgehend unzugänglich. Dass die deutsche Kolonialvergangenheit in unserer Gegenwart ein Mysterium ist – geschenkt. Doch diese handfesten Elemente wären notwendig, um die Ursache der Phantomschmerzen zu begreifen, die Lang auf seinen vernebelten Conrad’schen „The Horror-The Horror“-Fotografien wirklich eindrucksvoll illustriert.

Und weil Langs aufarbeitender Impuls und das DHM als Institution zusammengedacht werden müssen, gehört ein Besuch in der ständigen Ausstellung im Zeughaus nebenan zwingend dazu – ab in den ersten Stock, wo für die Ära „1871 bis 1918“ fast ein Viertel der Gesamtfläche reserviert ist. Innenpolitik des Kaiserreichs, Erster Weltkrieg, x Porträts von Wilhelm, Bismarck, alles da. Aber „Außenpolitik“ – nix. Berlin-Konferenz 1884/1885 – nix. Rolle der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg, Gefechte in Kamerun 1914 bis 1916 gegen die Engländer, Erklärung, was es mit den französischen Kriegsgefangenen aus Algerien auf sich hat, die der Berliner Maler Hans Loosch 1916 porträtierte und die dekorativ zwischen anderen Kriegsdevotionalien hängen (Erklärsatz: „Die große Zahl exotisch anmutender Menschen weckte auch das Interesse von Künstlern“) – nix.

Die Ecke hinter der Treppe

Der dritte Museumswärter, den man fragt, zeigt einem eine kleine Ecke hinter der Treppe, wo eine Schulkarte von 1905 mit den „Deutschen Kolonien“ hängt, halb verdeckt von einem chinesischen Gewand, dort steht auch eine Blechdose Marke „Elefanten-Kaffee“, es findet sich eine „Reichsflagge an afrikanischem Speer“ und unter der Treppe einer dieser flachen Aktenschränke, wo in einzelnen Schubladen nur illustriert wird, welche tollen Rohstoffe Deutschland dank der Kolonien endlich zur Verfügung hatte.

Unbegreiflich in einer Stadt, in der seit Jahren debattiert wird, dass dieser Teil deutscher Vergangenheit ausgeblendet wird und wie sich das ändern ließe. Vor diesem Hintergrund wird erst recht deutlich, wie dringlich es ist, dass das Humboldt-Forum auf der anderen Straßenseite sich als politisch-historisches Museum versteht. Dass das DHM nun ab dem14. Oktober im Pei-Bau zeitgleich zu „Kamerun und Kongo“ und „Immer bunter. Deutschland als Einwanderungsland“ die Ausstellung „Deutscher Kolonialismus: Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ zeigt, erscheint geradezu phänomenal. Und wenn man aus dem ersten Stock der ständigen Ausstellung wiederkommt, wirkt die Schau von Andréas Lang nur noch: schal.

Bis 26. Februar, Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, tägl. 10–18 Uhr

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