Blühende Fantasien

FUSSBALLER Weil der 1. FC Köln über das am besten entwickelte Team in der Liga verfügt, können die Rheinländer ihre Erfolgsserie in Gelsenkirchen fortsetzen und Träume bei den Fans freisetzen. Bei Schalke tut man sich mit dem eingeleiteten Neuanfang schwer

Groß gegen Klein, Köln gegen Schalke, Marcel Risse (l.) gegen Abdul Rahman Baba Foto: dpa

Aus Gelsenkirchen Daniel Theweleit

Das Stadion war beinahe schon leer, als die Kölner Fans alle Zurückhaltung ablegten und ihrem Überschwang freien Lauf ließen. „Deutscher Meister Effzeh“ brüllten die Leute in der Ecke mit den Anhängern, nachdem Simon Zoller in der Schlussphase der Partie in Gelsenkirchen zum 3:1 für den neuen Tabellenzweiten vom Rhein getroffen hatte. Viele Schalker hatten sich in ihrer Enttäuschung bereits auf den Heimweg gemacht, sie hatten keine Lust auf die explodierende Euphorie der Gäste, die wenig später in einer Nachricht aus der Ferne gipfelte. „1. FC Leicester City“ twitterte der Stadtheilige und Edelfan Lukas Podolski. Der legendäre Stürmer hatte mal wieder die treffenden Worte gefunden.

Leicester wurde in der vorigen Saison bekanntlich sensationell englischer Meister, mit einem hingebungsvollen Verteidigungs- und Konterfußball, der große Ähnlichkeiten mit diesem Kölner Sieg in Gelsenkirchen hatte. Nun träumen sie also auch am Dom von der Meisterschaft. Noch vor zwei, drei Jahren hätte man diese merkwürdigen Karnevalsmenschen umgehend des Größenwahns verdächtigt, aber diese Zeit ist tatsächlich vorbei. Nicht nur der Fußball, die ganze Unternehmenskultur beim 1. FC Köln ist geprägt von einer unerschütterlichen Demut. Da dürfen der Poldi und die anderen Anhänger ihre Fantasie schon mal blühen lassen.

Manager Jörg Schmadtke als auch Trainer Peter Stöger geben dagegen perfekte Beispiele ab, um den Begriff „Vernunftmensch“ zu illustrieren. „Der Teamgeist und der Wille, zu arbeiten, machen uns zurzeit so erfolgreich“, sagte Kapitän Matthias Lehmann. Der 1. FC Köln hat zwar mit Anthony Modeste einen der gefährlichsten Torjäger, ist jedoch nicht die am stärksten besetzte Mannschaft. Dafür ist es gut möglich, dass die Rheinländer das am besten entwickelte Team sind.

Seit gut drei Jahren wird mit beachtlicher Kontinuität und viel Sachverstand gefeilt und optimiert. Diese Reife ist in diesen ersten Saisonwochen deutlich erkennbar, und genau hier liegt der entscheidende Unterschied zu den Schalkern. Der FC ist eingespielt, verfolgt ein klares einstudiertes Spielkonzept, die Spieler kennen sich und bringen ihre Stärken nahezu perfekt zur Geltung. Während die Schalker gerade erst dabei sind, erste Teile ihres künftigen Erfolgspuzzles ineinanderzufügen.

„1. FC Leicester City“ twitterte der Stadtheilige Lukas Podolski

Es war keine wirklich schlechte Partie des punktlosen Vorletzten, der mehr gelaufen war, mehr Ballbesitz, die bessere Passquote und mehr Torschüsse hatte. Mehr Flanken schlugen die Schalker auch, was fehlte, waren Effizienz und Durchschlagskraft. „Solche Spiele werden in Details entschieden“, sagte Trainer Markus Weinzierl, und um diese berühmten Kleinigkeiten zu kontrollieren, braucht man im Fußball nun einmal Zeit. „Mit Ruhe und Verstand“, werde jetzt weitergearbeitet, verkündete Manager Christian Heidel in deeskalierendem Tonfall.

Die Leute waren zwar enttäuscht gegangen, aber noch nicht zornig. „Ich glaube, es wäre eine andere Reaktion gekommen, wenn das Publikum den Eindruck gehabt hätte, dass die Mannschaft sich nicht engagiert“, erklärte Heidel. Wobei dieses Spiel sehr wohl an die finstere Zeit erinnerte, als Trainern wie Jens Keller, Roberto di Matteo oder André Breitenreiter vorgeworfen wurde, Schalke 04 fußballerisch nicht weiterzuentwickeln. Denn trotz ihrer guten statistischen Werte haben sie kein Tempo in ihr Spiel bekommen.

Die Zuversicht ist aber weiterhin vorhanden, „nach dem Regen wird wieder die Sonne scheinen“, floskelte Sascha Riether, der überraschend auf die Rechtsverteidigerposition gerückt und damit für jenen Raum zuständig war, über den alle Gegentreffer fielen. Und Benedikt Höwedes prophezeite, „wenn das Ding einmal angeschoben wird, wenn wir den Lohn einfahren, für die Dinge, die wir investieren, dann werden wir einen Lauf kriegen“. Es habe sich „so viel zum Positiven gewendet“ auf Schalke, irgendwann komme der Erfolg. Aber vielleicht ist genau diese Haltung ein Teil des Problems.