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Mehr Beinarbeit, wenig Ellbogeneinsatz

NACHWUCHSTANZ Selbstbewusst, gelenkig, offen: Das Duo „The Two“ führt nach kurzer Probenzeit sein gesellschaftskritisches Stück „course of life“ beim 3. Tanztreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele auf

Von Julika Bickel

Wie Föten liegen Paula und Jeele gekrümmt auf dem Boden. Ein Beat pulsiert als Herzschlag. Zaghaft richten sie sich auf, schauen sich um, entdecken einander. Jeele geht zur Stereoanlage und ändert den Song. Zum Soundtrack des Kinderfilms „Pünktchen und Anton“ hüpfen sie herum, stupsen sich an und werfen einen Ball in die Luft. Die Musik stoppt. Jeele setzt Paula auf einen Hocker und drückt ihr Papier und Stift in die Hand. Auf einem zweiten Hocker spielt er Schlagzeug und diktiert damit den Rhythmus. Paula kritzelt hektisch auf dem Blatt herum, sticht dabei Löcher hinein.

Das Tanzduo The Two probt „course of life“ (Lauf des Lebens), ein kurzes Stück, mit dem sie zum dritten Tanztreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele eingeladen sind. Die 20-minütige Performance erzählt die Geschichte eines Menschen von der Geburt bis zum Tod. Schon in der Schulszene, in der ein Lehrer das Kind mit Taktschlägen zum Schreiben zwingt, wird deutlich: Paula Moré und Jeele Johannsen kritisieren mit ihrem zeitgenössischen Tanz die Gesellschaft, vor allem das deutsche Schulsystem. „Schule ist die härteste Struktur, in die ein Jugendlicher hineingepresst wird“, sagt Jeele später im Gespräch. Die zwei 19-Jährigen wirken selbstbewusst und offen.

Tolle Choreografie

3. Tanztreffen der Jugend

Heute startet im Haus der Berliner Festspiele das Tanztreffen der Jugend. Bis zum 30. September sind fünf Produktionen aus Berlin, Bonn, Herne, Mainz und München zu sehen, die zuvor in einem landesweiten Wettbewerb von einer Jury ausgewählt wurden. Dazu gehören Workshops und Gespräche. Und die gerade laufende Pina Bausch-Ausstellung im Martin Gropius Bau wird genutzt, den Kindern und Jugendlichen diese Choreografin nahe zu bringen.

„course of life“ von The Two istim Haus der Berliner Festspiele am Sonntag, 25. 9., und Dienstag, 27. 9. 2016, jeweils um 20 Uhr zu sehen.

Eintritt: 6 € / ermäßigt 4 €. Weitere Informationen unter berlinerfestspiele.de

Beachtlich ist vor allem, dass sie nach gerade zwei Jahren Tanzerfahrung eine anspruchsvolle Choreographie ohne fremde Hilfe entwickelt haben. Seit 2014 tanzen sie in der Jugendcompany der TanzTangente Berlin. Im Herbst letzten Jahres trafen sich Paula und Jeele zum ersten Mal, um etwas Eigenes auszuprobieren und das Gelernte anzuwenden. Sie improvisierten und fügten all ihre gesammelten Ideen zusammen. Innerhalb von zwei Tagen entstand ein grober Ablauf des Stücks. Das motivierte sie, sodass sie in den folgenden Monaten einmal wöchentlich probten. „course of life“ zeigten sie zuerst in der TanzTangente, in der Reihe „footsteps and fingerprints“.

Über das gemeinsame Tanzen haben sich die zwei Jugendlichen befreundet. Gestritten hätten sie sich nie, erzählen sie, aber manchmal waren sie sich uneinig. Paula wünschte sich mehr Improvisationsmomente. Jeele hingegen wollte die Schrittabfolge überall genau festlegen. Sie entschieden sich für einen Kompromiss.

Freiraum für Kreativität und Individualität ist vor allem Paula wichtig. Sie hat die Schule abgebrochen und stattdessen mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Thikwa-Werkstatt für Theater und Kunst ihre Hochschulreife geschafft. „In der Schule gab es für mich zu wenig Raum, um meine Fähigkeiten zu entwickeln“, erklärt sie. Das Künstlerische zähle im deutschen Schulsystem zu wenig, es gebe wenig Raum für das Menschliche und dadurch einen krassen Konkurrenzkampf. „Unser Schulsystem macht Kinder und Jugendliche zu Ellbogenmenschen“, sagt sie.

Moré und Johannsen kritisieren mit ihrem zeitgenössischen Tanz das Schulsystem

Jeele stimmt ihr zu: „Es muss sich etwas ändern.“ Er bewirbt sich gerade an Schauspielschulen und möchte am liebsten in den Bereich „Physical Theatre“. Paula legt ein Orientierungsjahr ein und arbeitet für die nächsten zehn Monate bei der Tanzfabrik, dem Zentrum für zeitgenössischen Tanz in Berlin. Wichtig sei ihr, Künstlerisches mit Sozialem zu verbinden.

Die Kritik der zwei jungen Erwachsenen am getakteten Leben ist in „course of life“ deutlich zu spüren. Sie laufen im Gleichschritt hintereinander her. Paula versucht auszubrechen, doch Jeele rempelt sie um. Sie bleibt bewegungslos am Boden liegen. Er hilft ihr auf, doch immer wieder droht sie zu fallen. Jeele fängt sie auf. Das Stück endet optimistisch: Jeele wirft mit einer Taschenlampe einen Lichtball auf den Boden. Paula folgt dem Licht zur Wand, spielt mit ihm und dreht sich schließlich zu seinem Schein im Kreis.

Umwerfend schlicht

Die Vieldeutigkeit im Tanz ist ihnen wichtig, weshalb sie Klischees vermeiden. „Wir wollten es offen lassen, damit bei jedem eigene Bilder entstehen können“, sagt Jeele. In ihrer Inszenierung verwenden sie lediglich Alltagsgegenstände. Musik und Licht betätigen sie selbst. Das Stück überzeugt in seiner Schlichtheit, auch die Jury des Bundeswettbewerbs „Tanztreffen der Jugend“. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl war, dass Kinder und Jugendliche das Stück aktiv mitgestaltet haben. Von insgesamt 58 Bewerbungen aus dem ganzen Land kürten die Juror*innen das Berliner Duo The Two als eins der fünf besten Ensembles. Eine Woche lang treffen sich die Gewinnergruppen beim Festival, um sich bei Workshops und Gesprächsrunden auszutauschen. In ihrer schriftlichen Begründung zu „course of life“ lobt die Jury „die universelle Relevanz“ des Themas, das „verblüffend simple und wirkungsvolle choreografische Geflecht“ und den „einfachen, direkten Umgang miteinander“.

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