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„Hauptsache, nicht AnnenMayKantereit“

Musik Der „Preis für Popkultur“ will ein Anti-„Echo“ sein, doch im Zentrum standen Kommerzmänner

Als der New-Wave-Musiker Drangsal am Freitagabend sein Set beendete und die erste Verleihung des Preises für Popkultur Geschichte war, konnte man das Berliner Tempodrom nur achselzuckend verlassen. Gesehen und gehört hatte man uninspirierte bis belanglose Auftritte von Gruppen wie Bosse oder Boy, Preisträger (fast alle männlich), die sich bei ihren Produzenten, Labels, Fans bedankten, sowie das Kreischen des überwiegend jungen Publikums. Nicht gesehen und gehört hatte man: eine Gegenveranstaltung zum Musikpreis „Echo“ oder gar einen alternativen Pop-Award. Genau das will der „Preis für Popkultur“ aber sein – in der Branche Beschäftigte gründeten zu dem Zwecke den „Verein zur Förderung der Popkultur“. Inzwischen gehören diesem rund 400 Mitglieder an, die allesamt stimmberechtigt waren, um in zwölf Kategorien die Gewinner zu ermitteln.

Dass man mit der ersten Auflage nun alles andere als zufrieden sein kann, liegt nicht nur im Abend der Verleihung begründet, durch den Moderator Bernd Begemann kalauerig führte. Zwar mag es demokratisch anmuten, wenn 400 Pop-affine Menschen entscheiden – die deutsche Popszene wurde aber nicht annähernd abgebildet. Im Zentrum standen die kommerziell erfolgreichen Acts wie Casper (gewann mit „Lang lebe der Tod“ in der Kategorie Lieblingslied), Beginner (Lieblingsvideo: „Ahnma“) oder Moderat (Lieblingsalbum und -band). Als Lieblings-Solokünstler wurde Bosse ausgezeichnet, als Lieblings-Solokünstlerinnen Mine und Peaches. Drangsal gewann auch den Preis als bester Newcomer, was er mit den Worten „Hauptsache, nicht AnnenMayKantereit“ quittierte.

Wenn man sich anschaut, wer im relevanten Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 veröffentlicht hat (Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen, Schnipo Schranke, Masha Qrella, Die Heiterkeit, Barbara Morgenstern, um nur einige zu nennen), wird das Fehlen der Indie-Kultur allzu deutlich. Der Stuttgarter Zirkel um Die Nerven blieb gänzlich unberücksichtigt. Immerhin gab es Preisträger wie den Golden Pudel Club in der Kategorie„Gelebte Popkultur“ und die „Plus 1“-Kampagne für Refugees bei den „Kampagnen“.

Die Künstlerinnenquote und die fehlende Heterogenität waren beschämend. Man kam bei den Nominierten auf mehr als 100 Männer und 10 Frauen (Mehrfachnominierungen mitgezählt). Internationalität und Künstler mit Migrationshintergrund kamen kaum vor – obwohl es um Künstler geht, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. In vielerlei Hinsicht also sollte sich die Neuerfindung möglichst ganz schnell neu erfinden.

Jens Uthoff

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