Aus alten Schläuchen

Kolumbien Ciudad Bolívar gehört zu den berüchtigten Stadtvierteln Bogotás. Hier produziert Doña Rosa Taschen, Rucksäcke und Accessoires aus Lkw-Schläuchen

Nach sechs Jahren den Sprung in die Selbständigkeit gewagt

von Knut Henkel

Doña Rosa lässt die Ledertasche prüfend durch die Hände gleiten, ein Finger fährt über den kleinen Knopf am unterem Ende der Tasche, auf dem „Made in Barrio“ steht. „Wir haben uns weiterentwickelt, produzieren nun nicht mehr nur allein mit Leder und Gummi aus alten Lkw-Schläuchen, sondern auch mit sorgfältig gefärbtem Leder, modernen, widerstandsfähigen Stoffen sowie Kunstleder“, erklärt sie lächelnd. Die resolute, hemdsärmelige Frau heißt eigentlich Ana Rosa Ariza. Doch in der Nachbarschaft nennen sie alle nur Doña Rosa – eine Respektsbezeichnung, denn die 54-Jährige ist eine Selfmade-Frau in Ciudad Bolívar. So heißt einer der größten Bezirke in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá.

In einer kleinen Stichstraße steht ihr schmales, dreistöckiges Werkstattgebäude. Das krallt sich, eingequetscht von zwei anderen Gebäuden, an einen Hang. In einem der Nachbarhäuser lebt die Geschäftsfrau mit ihrem Mann, der für die Materialbeschaffung verantwortlich ist. Gummi ordert er ein paar Straßenzüge weiter unten, wo die Lkw-Werkstätten sind, wo Zugmaschinen gewartet, Reifen gewechselt, Motoren gecheckt werden und wo viele Schläuche anfallen. Das Leder stammt hingegen aus einer der Gerbereien im Barrio San Benito. Dort befindet sich das Gerberviertel von Ciudad Bolívar und mit dem Unternehmen von Claudia Delgado und ihrem Sohn David haben Manufacturas de Cuero Ariza, so heißt das Unternehmen von Doña Rosa, gute Erfahrungen gemacht. Gemeinsam sind beide Unternehmen gewachsen und die Arbeitsstandards wurden kontinuierlich verbessert

So sind moderne Werktische, Filteranlagen und Atemmasken in der Gerberei Pflicht und das Unternehmen wurde auch schon von den europäischen Geschäftspartnern von Doña Rosa besucht. Frauen stellen das Gros der 28 Mitarbeiter in der Werkstatt von Doña Rosa. Sechzehn Angestellte arbeiten derzeit in Vollzeit und schneiden Gummi, Leder, Kunstleder und moderne synthetische Stoffen zu, die anschließend verklebt und gefalzt werden. Accessoires vom Portemonnaie über die Kulturtasche bis zum Laptop-Rucksack werden genauso hergestellt wie Gürtel oder Schutzhüllen für Mobiltelefone, Tablets und Laptops – und nicht nur in Kolumbien verkauft. „Etwa zehn Prozent der Produktion gehen auf den nationalen Markt, 90 Prozent werden exportiert“, erklärt Doña Rosa und präsentiert eine rote Ledertasche im Format DIN A4.

Mit der Lederverarbeitung haben die meisten der Angestellten in dem kleinen Betrieb angefangen. Auch Ana Rosa Ariza begann in einer kleinen Ledermanufaktur und hat sich dort hochgearbeitet. „Nach sechs Jahren war ich Geschäftsführerin und habe den Sprung in die Selbständigkeit gewagt“, erklärt die agile 54-Jährige. Mit drei Angestellten hat sie 2001 angefangen und irgendwann kam ihr die Idee, es mit dem Gummi der Schläuche zu probieren. „Von hier gehen die Trucks auf die großen Touren und so fallen Unmengen von Schläuchen an, die niemand mehr haben will. Da kam ich auf die Idee, sie zu nutzen“, erinnert sich die Unternehmerin lächelnd. „Re3-Recycling“ nannte sie das Label, was sich nach wie vor guter Nachfrage erfreut. Hinzu gekommen ist mit „Made in Barrio“ eine reine Leder-Linie und Optimus, wo mit Kunstleder und strapazierbaren Stoffe aus der Autoindustrie gearbeitet wird. Die Zuschnitte und das Vernähen ist kein Problem auf den Nähmaschinen, so Schneider Delfin Peralta. „Das Packen wir und die Maschinen auch“, sagt Peralta lachend. Er ist schon mehr als zehn Jahre bei Doña Rosa und das gilt für mehrere der älteren Mitarbeiter. Die haben die Jüngeren mitgebracht – so wie Rosa Lena Rubio die eigene Tochter und eine Schwester. Das schafft ein familiäres Klima in der Werkstatt, wo über den nationalen Mindestlohn von rund 210 US-Dollar monatlich bezahlt wird. Rund 60 Prozent über der von Gewerkschaften, Wirtschaft und Regierung ausgehandelten Mindestmarge überweist sie ihren Angestellten. „Die Leute sollen anständig leben können von ihrer Arbeit“, ist ihre Devise. Schließlich stammt sie selbst aus einfachen Verhältnissen, hat nicht mehr als die Grundschule besucht. Im vom Bürgerkrieg gebeutelten Departamento Meta ist sie aufgewachsen und schließlich nach Bogotá, um hier ihr Glück zu machen. Diese Erfahrung teilt sie mit mehreren der Älteren.

Vieles hat sie sich selbst beigebracht. „Doch auf den internationalen Markt bin ich erst durch die Kooperation mit Sapia und Javier Cardenas gekommen“, schildert Doña Rosa ihren Durchbruch. Sapia ist ein fairer Hersteller von Schmuck und Dekorationsgegenständen in Kolumbien und der Fair Trade-Anbieter Contigo aus Göttingen ein wichtiger Handelspartner. In dessen Shops, rund zwanzig sind es derzeit, werden Produkte aus dem fairen Handel verkauft – von der Deko auf dem Kaffeetisch über Kaffee bis zum Schal für die kalten Tage. Darunter auch die Produkte von Doña Rosa und Sapia. Ein Glücksgriff für Doña Rosa und ihre ungewöhnliche Belegschaft. Die besteht aus überdurchschnittlich viel jungen und ausgesprochen erfahrenen Mitarbeitern – die mittlere Altersgruppe fehlt. Das hat seinen Grund: „Vor allem die Alten und die Jungen sind es, die es schwer haben, in Kolumbien eine faire Chance zu bekommen. Die einen gelten als zu unerfahren, die anderen als nicht mehr schnell genug“, ärgert sich die Unternehmerin. Sie plädiert für mehr Fairness am Arbeitsplatz – und zeigt wie es geht.