Dibbuks

Doku Zurück nach Jugoslawien: „Titos Brille“ (23.00 Uhr, ARD)

Wer mit Rudolf Thomes Filmen aus den späten achtziger Jahren aufwuchs, dem kann die Schauspielerin Adriana Altaras nicht mehr aus dem Kopf gegangen sein. Die allen Thome-Frauen eigene urwüchsige Autonomie verkörperte sie mit ihrer kleinen, südländischen Erscheinung in einer irgendwie besonders – nun ja, altmodisches Wort – burschikosen Variante.

Nun, da die ARD die Thome-Altaras-Filme schon lange nicht mehr bringt, zeigt sie immerhin „Titos Brille“, Regina Schillings (Kino-)Film mit Adriana Altaras nach deren gleichnamigem Buch. Es geht um Altaras’ Familie und Familiengeschichte. Jüdische, jugoslawische, deutsche Geschichte. Tragische Geschichte auch, weshalb Altaras ganz zu Anfang sagt: „Für Distanz würde ich alles tun.“ Aber die Dibbuks, die jüdischen Totengeister, verfolgen sie; um sie loszuwerden, muss sie sich ihnen stellen. Sie steigt in ihren 35 Jahre alten Mercedes und begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit.

Sicher ist, dass der Vater im Zweiten Weltkrieg in Titos Partisanenarmee gekämpft hat. Kurz vor der Beförderung zum General fiel er in Ungnade, ihm wurde der (Schau-)Prozess gemacht, die Familie ging ins Exil nach Deutschland. Man könnte sagen, Altaras sei als wohlbehütetes Kind bestens integrierter Einwanderer groß geworden. „Komisch war nur – meine Mutter hat mich nie umarmt.“ Am Ende ihrer Reise, die sie auch an den Gardasee, nach Split und nach Zagreb geführt hat, besucht Altaras das Konzentra­tionslager auf der Insel Rab, in das man ihre Mutter und deren Schwester gesteckt hatte, als sie kaum erwachsen waren. Altaras weint ein bisschen: „Meine Mutter hat, glaube ich, nichts mehr fühlen können. Die war wie tot. Versteinert.“ Aber: „Es gibt ja Haushalte, in denen dauernd geweint wurde. Wir sind mit einem Renault an die Riviera gefahren und haben dabei Celentano gehört.“ Die Dibbuks sind hartnäckige Gesellen, sie reisen mit Altaras zurück nach Berlin.

Jens Müller

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