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Er ist die jüdische Jane Austen

ILB Shylocks Tochter und ein zweitklassiger Fußballer: Howard Jacobson diskutierte über seine Romanversion des „Kaufmanns von Venedig“

Man lernt zu verpassen, nimmt nur das mit, was man eh mitnehmen wollte

Anzahl der AutorInnen: 190, meldet das statistische Beiblatt des ilb nicht ohne Stolz. Anzahl der Veranstaltungen: 365. Vielleicht ist das aber auch ein Problem – dieser Gedanke drängt sich nicht nur am Mittwochabend auf, als vielleicht 30 Menschen sich im Hauptsaal des Hauses der Berliner Festspiele verlieren, um den britischen Autor Howard Jacobson zu hören. Denn die 365 Veranstaltungen verteilen sich nicht über ein Jahr, sondern auf zehn Tage. Folge des Überangebots: Man lernt zu verpassen, nimmt nur das mit, was man eh mitnehmen wollte, den Rest schenkt man sich. Zeit für Entdeckungen bleibt unter dem Strich keine.

Howard Jacobson zum Beispiel hätte ein größeres Publikum verdient gehabt. Er wurde von der Kritik einmal als „der englische Philip Roth“ bezeichnet, wogegen er sich mit dem Bonmot wehrte, er wäre lieber „die jüdische Jane Austen“. Nach der Literaturbetriebssatire „Im Zoo“, die schon lange auf des Rezensenten Leseliste steht (allein, das Überangebot!), wurde er kürzlich von Hogarth Press um eine zeitgenössische Überarbeitung eines Shakespeare-Stücks in Romanform gebeten; diese stellte er an diesem Abend vor: „Shylock is My Name“, seine Version des „Kaufmanns von Venedig“, Shakespeares Versuch einer jüdischen Nebenfigur, der jedoch, so Jacobson, keineswegs antisemitisch sei: Das Stück handelt vom Antisemitismus, sei aber nicht selbst antisemitisch, dafür sei Shakespeare ein viel zu großartiger Autor gewesen, so Jacobson.

Jacobson versetzt die Szenerie ins England der Jetztzeit; auch die Fragen der großen Religionen und der großen Konflikte werden angegangen, daneben aber verlässt er sich einerseits auf seine komödiantischen Talente, während er sich andererseits dem Jüdischsein seiner Hauptfigur, eben jenem Shylock, widmet. Ein Jude in England, etwas, das es im viktorianischen England nicht gab. Es ist keine Figur, die man mögen, die man nett finden könne, so Jacobson im Gespräch mit Moderator Bernhard Robben. Aber diese Figur hätte schon bei Shakespeare die Tiefe, die man bei Portia – der weiblichen Hauptfigur – zum Beispiel vergeblich suche.

Was Jacobson erfindet, ist eine Tochter namens Plurabelle (wie bei Joyce), kurz „Pluri“, die mit einem Provinzfußballer anbändelt, der bei seinem ersten Tor den Hitlergruß zeigte, sich hernach jedoch reumütig gab und nebenher als Unterhosenmodell arbeitet – irgendwie eine Mischung aus David Beckham und Cristiano Ronaldo, nur das mit dem Hitlergruß kommt eher woandersher. Ein etwas lahmer Ansatz, denkt man, während Schauspieler Sven Philipp (seinerseits eine Mischung aus Willem Dafoe und Michael Holm) gekonnt die deutsche Übersetzung vorliest. Der dann aber unmittelbare Komik produziert: ein Vater, der sich Gedanken macht, ob die Hochzeit seiner Tochter mit einem zweitklassigen Fußballspieler seinen Segen verdient!

Insgesamt war das noch so eine kurzweilige Veranstaltung, wieder einmal mit sehr hohem (geschätzt 85 Prozent) Frauenanteil im Publikum. Vielleicht wäre das einmal ein Thema fürs Festival: Wo sind die Männer hin, lesen die nicht, oder mögen sie nur keine Literaturfestivals? Oder liegt es daran, dass zeitgleich zur Lesung von Jacobson ein Champions-League-Spiel läuft?

Howard Jacobson, 1942 in Manchester geboren, Booker-Preisträger, zeigt sich auch im Interview beredt und komisch; im Hintergrund wird diesmal etwas auf die Leinwand projiziert, was ein Käse, ein gelber Bierfilz oder eine runde Hollerith-Scheibe darstellen könnte (oder gar die Sonne).

René Hamann

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