Parteilose KandidatInnen mit Migrationshintergrund
: Endlich mitreden dürfen

Fünf KandidatInnen mit türkischem Migrationshintergrund treten in diesem Jahr als sogenannte Einzelbewerber, also Kandidaten ohne Parteizugehörigkeit, für die Wahl des Landes- oder Bezirksparlaments an: Das sind exakt fünf mehr als bei der letzten Berlinwahl.

Zwei davon gehören anscheinend einer kleinen Politikerdynastie an: Betül Bayrak, Direktkandidatin in Neukölln, ist, so hört man, die Schwiegertochter von Yusuf Bayrak, der sich 2009 in dem Bezirk um einen Sitz im Bundestag bewarb. Er bekam damals 0,2 Prozent der für parteilose Kandidaten wichtigen Erststimmen. Bayrak ist zudem die Tochter von Ali Sen, der im Wahlkreis 3 im nördlichen Kreuzberg ebenfalls als Einzelkandidat freundlich von vielen Plakaten lacht. Während Sen keine Webseite hat und auf Face­book vor allem mit Fotos von sich und seinen Plakaten wirbt, tritt seine Tochter, studierte Regionalplanerin, auf ihrer Webseite betuelbayrak.de vor allem mit Bildungspolitik an.

Im Wahlkreis 4 in Mitte tritt ein besonderer Bewerber an. Ilkin Özisik ist bereits Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Als Sozialdemokrat war er 2011 dort hineingewählt worden. Nach Zerwürfnissen mit der Partei und politikunab­hängigen privaten Vorwürfen gegen ihn trat er Anfang 2016 aus der SPD aus und tritt nun als Einzelbewerber vor allem mit bildungspolitischen Themen an.

Ebenfalls in Mitte kandidiert Fatih Tanriverdi. Bei dem Rechtsanwalt, der auf seinen Wahlplakaten eine nicht existierende Webseite angibt, bleibt deshalb unklar, für welche politischen Inhalte er steht. Er gehört zum Vorstand der religiös-konservativen Türkischen Gemeinde Berlin (TGB). Deren Vorsitzender Bekir Yilmaz empfiehlt auf Facebook alle türkeistämmigen EinzelkandidatInnen, auch Pinar Cetin, die ebenfalls in Neukölln kandidiert. Yilmaz’ türkischsprachiger Facebookpost für potienzielle WählerInnen lautet: „Du möchtest Deine Stimme nicht jenen geben, die Ja zur Armenier-Lüge sagen? Du möchtest sie nicht jenen geben, die Feinde der Türkei sind?“

Pinar Cetin, Anfang 30, in Deutschland geboren, gehört zu jenen Deutschtürkinnen, die sich öffentlich vehement gegen die vom Bundestag verabschiedete Armenienresolution geäußert haben. Die Turkologin und Politikwissenschaftlerin, Mitglied im Landesvorstand des türkisch-islamischen Moschee-Dachverbands Ditib, sieht darin weder einen Widerspruch zu Integration noch zu politischer Arbeit in Berlin. MigrantInnen würden zwar zu Partizipation aufgefordert, sagt sie: „Aber die Reaktionen auf unseren Protest in der Armenienfrage haben gezeigt, dass unsere Teilhabe gar nicht erwünscht war.“ Sie kandidiere, „weil ich auch an solchen Entscheidungen teilhaben möchte. Ich will mitreden dürfen.“ Alke Wierth