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Schöner Müll Nix ist älter als die Zeitung von gestern? Als Postkarte kann sie neue Geschichten erzählenZettels Traum vom neuen Leben

Von Christina Spitzmüller

Das erste Mal Papier geschöpft habe ich in der Grundschule. Da gab’s immer Milch zu kaufen, von Joe Clever. Einmal kam ein Joe-Clever-Team und zeigte uns, wie Milchtüten recycelt werden können. Umweltbewusstsein schaffen und so, das war wahrscheinlich ihr Auftrag.

Wir Schulkinder fanden das spannend. Was es mit Recycling und Kreislaufwirtschaft und all diesen Dingen auf sich hat, haben wir damals noch nicht verstanden. Aber wir konnten etwas selber machen, mit unseren eigenen Händen.

Das Papiermachen aus Milchtüten war ein bisschen kompliziert: Zuerst musste die Beschichtung auf der Innen- und Außenseite vom eigentlichen Papier getrennt werden. Das rissen wir dann in kleine Stücke, weichten es in viel Wasser ein, pürierten es klein und gaben die Masse in große Plastikbottiche. Mit einem riesigen flachen Sieb konnten wir dann DIN-A4-große, dünne Bögen schöpfen. Am nächsten Tag war das Papier trocken und wir durften es mit nach Hause nehmen: Schau mal, Mama, was ich gemacht habe!

Zehn Jahre später habe ich dann aus eigenem Antrieb Papier hergestellt. Nicht aus Milchtüten. Das matte Silber in ihrem Inneren hat etwas Avantgardistisches. Sie sind für etwas anderes bestimmt.

Viel besser eignet sich Altpapier. Zeitungen sind nichts als graues Papier und Druckerschwärze – Tag für Tag in einer anderen Zusammensetzung und Tag für Tag aufs Neue veraltet, egal wie wichtig die Sätze, die Worte, die Buchstaben, die darin stehen, einstmals waren. Weil ständig so viel Neues passiert, das erzählt und berichtet werden will.

Doch statt als liebloses Geschenkpapierersatz oder als Malerfolie zu enden, können alte Zeitungen neues Gewand bekommen. Eines, das all die Gedanken konserviert und ihnen eine neue Bestimmung gibt. Das neue Geschichten aufnehmen kann.

Eine kleine Farbenlehre des Papierschöpfens

Ausgangsmaterial: Die Farbe des fertigen Papiers hängt von der Farbe des Ausgangsmaterials ab: Brauner Karton gibt hellbraunes Papier, Zeitungen und weißes, bedrucktes Papier werden grau. Buntes Papier behält seine Farbe bei, aber in etwas abgeschwächter Form. Wenn Sie eine bunte Serviette in die Papiermischung geben, färbt sich das fertige Papier entsprechend.

Naturfärbstoffe: Zwiebelschalen machen das Papier mittelbraun, riechen aber sehr stark – auch das fertige Papier wird dann etwas riechen. Geben Sie Fruchtteebeutel in die Papiermischung, färbt sich die Masse leicht bläulich. Für ein dunkles Braun können Sie den getrockneten Karton von einer Seite mit starkem kaltem Kaffee bestreichen.

Natürlich hatte ich keine Riesenbottiche zur Verfügung, als ich anfing, mit der Papierschöpferei herumzuprobieren. Und beim Versuch, mir ein mehr oder weniger passendes Sieb zu bauen, scheiterte ich nicht nur einmal. Eine neue Methode musste her, und am besten bewährt hat sich die Pappmaché-Ausroll-Variante. Damit wird das Papier aber nicht hauchdünn, sondern dick wie stabiler Karton.

Zum Briefeschreiben ist es ungeeignet, also galt es eine Verwendungsmöglichkeit zu finden. Es sind Postkarten geworden. Auf denen noch viel mehr recycelt werden kann: Schöne Fotos und Abbildungen aus Zeitschriften bekommen ein zweites Leben geschenkt. Getrocknete Blumen machen im Winter Vorfreude auf die wärmeren Jahreszeiten. Und natürlich können auch ganz eigene Dinge geschaffen werden. Meine Freunde bekamen von mir eine Zeit lang regelmäßig Karten mit kleinen Spatzen in Tropfenform, die einen netten Gruß zwitscherten. Ein Vogelhochzeitspaar schaffte es sogar aufs Programmheft der Heirat meines Bruders.

Und so mache ich immer, wenn sich in meiner Wohnung ein großer Zeitungsstapel angehäuft hat, eine Ladung Postkarten. Anlässe, sie zu verschicken, gibt es genug: Geburtstagswünsche, Abschiedsgrüße, versteckte Liebesbotschaften. Ein Stück echter Handarbeit bringt ein bisschen Freude zwischen all die Rechnungen und Werbeprospekte im Briefkasten. Noch viel mehr als eine „nur“ selbst gekaufte Karte.

Anleitung

1. Reißen oder schneiden Sie das Material in etwa zwei mal zwei Zentimeter große Stücke und geben Sie es in eine große Schüssel. Übergießen Sie es mit warmem Wasser, bis die Papierstücke vollständig bedeckt sind und lassen Sie es über Nacht einweichen – oder besser noch sogar ein bis zwei Tage lang.

2. Bearbeiten Sie die Papiermasse portionsweise mit einem Mixer oder Pürierstab. Je feiner das Ergebnis, desto besser ist das Papier später. Die Masse sollte nicht zu dünnflüssig sein, notfalls etwas Wasser abschöpfen.

3. Legen Sie auf eine ebene Platte zwei Zeitungen (um die Feuchtigkeit aufzusaugen) und obendrauf ein Stück Stoff (damit das Papier keine Abdrücke von der Druckerschwärze der Zeitungen hat). Nun eine gute Handvoll Papiermasse auf den Stoff geben. Mit einer Flasche vorsichtig und möglichst gleichmäßig ausrollen. Eventuell an die Ecken und in entstandene Löcher noch etwas Papiermasse nachgeben.

4. Bedecken Sie das Ergebnis mit einem weiteren Stück Stoff und Zeitungen. Eine weitere ebene Platte – gut eignen sich Regalbretter – auf den Stapel legen und wieder von vorne beginnen, bis die Papiermasse verbraucht ist. Dann den Stapel mit dicken Büchern beschweren.

5. Die Papiermasse muss drei bis vier Tage durchtrocknen. Dabei kann es etwas modrig riechen. Im Zweifel also lieber auf dem Balkon stapeln. Sind die Zeitungen durchnässt, sollten sie durch neue ersetzt werden. Je besser der Trocknungsprozess abläuft, desto stabiler ist das fertige Papier.

6. Nach der Trockenzeit den Stapel abschichten und die Papierstücke vorsichtig vom Stoff lösen. Auf dem Boden ausgebreitet weitertrocknen lassen, bis keine Feuchtigkeit mehr im Papier ist. Vielleicht wellen sich die Kartonstücke dabei ein wenig. Dann einfach die Stücke nochmals einen Tag lang pressen.

7. Ist das Papier komplett durchgetrocknet, können Sie Karten daraus schneiden.

8. Nun wird beklebt, bemalt, beschriftet. In der Regel ist zumindest eine Seite des Kartons so eben, dass Sie darauf schreiben können – selbst mit Füller, der Karton saugt nicht stark. Falls nicht, die Rückseite einfach mit einem Stück Papier bekleben. Nun noch einen lieben Gruß, die Adresse und eine Briefmarke drauf – und ab in den Postkasten.

Die Genussseite: Autorinnen der taz beschreiben hier einmal im Monat, wie man aus Müll schöne Dinge macht. Außerdem im Wechsel: Wir kochen mit Flüchtlingen, Jörn Kabisch befragt Praktiker der Kulinarik, und Philipp Maußhardt vereinigt die europäischen Küchen

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