: Punk ohne blöd
Konzert The Ex machen Punk, der die Grenzen des Begriffs einreißt. Zumindest haben sie wenig von dem, was Kleinbürger und leider auch manch Szenegröße für Punk halten
von Benjamin Moldenhauer
Punk bezeichnet mindestens zweierlei. Einmal das, was Kleinbürger aller Länder in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts angstvoll mit dem Wort verbanden: ungewaschene junge Menschen nämlich, die in Fußgängerzonen lümmeln, das Konzept Lohnarbeit ablehnen und grauslige Musik hören, zu der der Iro dann lebenslustig widerständig wippen darf.
Diese Version von Punk ist nicht totzukriegen und als Lebensentscheidung zu respektieren. Die Musik, die in diesem Feld kursierte, aber war, da gibt es nichts zu romantisieren, überwiegend scheiße. Spätestens in den Achtzigerjahren nahm der Drei-Akkorde-Punk, den Bands wie The Sex Pistols oder The Damned in England spielten, zunehmend marschmusikartige Züge an; bei deutschen Bands wie Slime oder Normahl noch einmal stärker als in zivilisierteren Ländern.
Der andere Strang, der sich von Beginn an durch die Punk-Geschichte zieht, lässt sich nicht so leicht definieren, dafür aber am exemplarischen Beispiel beschreiben. Und das bringt uns nun auch endlich zu The Ex, die am Donnerstag in der Schwankhalle aufspielen – in der hauseigenen Konzertreihe, „Was wollt ihr hören?“, die parallel zum Theatergeschehen Bands von alten und neuen Rändern der Musiklandlandschaft auf die Bühne bringt.
Wie The Ex eben: Seit 1979 entwickelt die holländische Band eine Musik, die die engen Grenzen des kleinbürgerlichen Punkverständnisses elegant aber bestimmt einreißt. Spätestens seitdem The Ex Anfang der Neunzigerjahre mit dem aus dem Umfeld der New Yorker Knitting Factory stammenden Cellisten Tom Cora zwei Alben aufnahmen, brauste die Band, auch zuvor dem Improvisierten und dem dissonanten Krach bereits nicht abgeneigt, musikalisch unaufhaltsam hinaus ins Offene.
Die Basis dieser Musik bilden rhythmisch kratzende Gitarren und das ungemein präzise Getrommle der Schlagzeugerin Katherina Bornefeld. Darüber lässt sich schichten, was in der Musikgeschichte quer zur Marschrhythmik steht: Jazz, afrikanische Rhythmen, Brassband-artige Bläsersätze, elektronisches Gefrickel, Dissonanzen. Mit Crossover hat das allerdings nichts zu tun: Bei The Ex funktioniert die Verbindung mit Traditionen, die nicht einmal mittelbar aus der eigenen ursprünglichen musikalischen Sozialisation kommen – Hausbesetzerszene, Seventies-Punk, Hardcore –, so gut wie sonst nur bei den späten Experimenten von Sonic Youth.
Der Strang der Punk-Geschichte, von dem The Ex maßgeblicher Teil sind, ist also gleichsam die Antithese zum Kleinbürgerpunk. Der eine macht die Schotten zu, der andere öffnet sich. Es geht nicht mehr um einfach zu reproduzierende Genremerkmale, die berühmten drei Akkorde zum Beispiel, sondern um eine Haltung der Welt und der Musik gegenüber.
Politische Radikalität, Autodidaktentum („Keines der Bandmitglieder nahm Musikunterricht“, weiß Wikipedia) und musikalische Neugier bilden ein Amalgam. Während also im kleinbürgerlichen Punk-Verständnis Parole und Wertkonservatismus eine nervtötende Allianz eingehen, öffnet der Punk von The Ex die Wahrnehmungskanäle.
Klingt hier auf dem Papier eventuell alles verkopft, ist auf der Bühne wie auch auf der letzten Platte „Enormous Door“ von 2013, aufgenommen mit dem Bläserquartett Brass Unbound, dann aber von bewegender Lebendigkeit.
Der Support schließt hier passgenau an. Die seelenverwandte Bremer Band Im Grunde Genommen setzt sich aus Menschen zusammen, die früher bei Ilse Lau und Die Auch musikalische Großtaten vollbracht haben. Der Pfad wird weiter verfolgt: Instrumentalstücke aus der SST-Schule, sorgfältig verschraubt, „stoisch und erfindungsreich“, meint die Band. Stimmt auch.
Konzert: The Ex und Im Grunde Genommen. Donnerstag, 21 Uhr, Schwankhalle, Alter Saal
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